Interview mit dem Pirat Vinzenz Vietzke
erschienen in presstige #26
Mit Macht haben Piraten ein Problem. Darum achten sie sehr darauf, dass keiner von ihnen zu viel davon bekommt. Ist das der Grund für ihr Scheitern? Darüber sprachen wir mit Vinzenz Vietzke, bis Februar Vorsitzender der Piratenpartei in Augsburg.
Foto: privat
presstige: Warum hast du dich vom Parteivorsitz zurückgezogen?
Vinzenz Vietzke: Ich hab das jetzt viele Jahre Vollgas gemacht und irgendwann ist die Luft einfach raus. Ich wollte auch mal wieder Zeit für andere Dinge haben.
Vor zwei Jahren gab es einen mega Hype um die Piraten, der inzwischen komplett vorbei ist. Was ist schiefgelaufen?
2012 waren wir in den Umfragen ja teilweise im zweistelligen Bereich. Dass das unrealistisch war, war klar. Trotzdem hätte man sich mehr erhofft. Im Nachhinein sehe ich schon, wo wir Fehler gemacht haben: Wir sind über dieses von der Öffentlichkeit hingehaltene Stöckchen „Ihr habt ja gar kein Programm!“ ganz lange reflexartig drüber gesprungen. Jetzt haben wir zu allen Themen irgendwelche Aussagen, die aber zum Teil unausgereift sind. Und was noch viel schlimmer ist: Wir haben dadurch unser Profil aufgeweicht. Wir sind nicht mehr die Netzpartei, sondern wir sind der zerstrittene Haufen, bei dem nicht klar ist, wofür der eigentlich steht. Das ist, glaube ich, der Grund, warum wir jetzt bei einem oder zwei Prozent rumdümpeln.
Ist das auch der Grund, warum ihr von der Snowden-Affäre so gar nicht profitiert habt? Weil ihr da schon zu oft gesagt habt: Wir sind gar keine Netzpartei?
Das trifft’s sehr genau. Wir haben uns abgestrampelt über den Sommer hinweg, haben gemacht, was nur ging, und es kam nichts dabei rum. Es passiert überhaupt keine Reaktion auf das, was du die ganze Zeit laut in die Welt schreist. Das verhallt einfach so. Das ist auch ein Grund, warum sich viele Leute inzwischen zurückziehen. Die Leute, die lange gestrampelt haben, sind einfach ausgebrannt.
Liegt das nicht eher an den Streitigkeiten innerhalb der Partei?
Ich könnte nicht sagen, was da überwiegt. Die inhaltliche Geschichte ist das Eine, das Andere ist dieses parteiintern nicht klare Verständnis, was Transparenz eigentlich bedeutet. Transparenz bedeutet nämlich nicht, ich muss jedem auf die Nase binden, mit wem ich mich gerade streite. Sondern, dass ich den Leuten deutlich machen muss, wie wir zu Entscheidungen kommen, wie Prozesse laufen, warum wir etwas so und so sehen.
Bei den Piraten wird häufig mit einer unglaublichen persönlichen Aggressivität gestritten.
Ja, wir hatten Fälle, die durchaus strafrechtlich relevant waren. Wenn mich so einer auf der Straße anredetet, dann zeig‘ ich den an. Und bei uns hieß es immer: Wir sind ’ne Freiheitspartei, soll doch jeder, wie er will. Nee, es gibt Grenzen! Diese Grenzen haben wir oft viel zu spät durchgesetzt. Wir müssen die Regeln, die wir für die Gesellschaft haben wollen, das Menschenbild, der respektvolle Umgang miteinander, auch intern umsetzen.
Die Piraten haben bei ihren Vorstandsämtern eine wahnsinnige Fluktuation. Eine Partei braucht aber bekannte Gesichter, um ihre Themen in der Öffentlichkeit zu transportieren.
Ja, wir haben’s nicht geschafft, die Persönlichkeiten, die wir in der Öffentlichkeit hatten, langfristig aufzubauen. Du kannst nicht ständig jemand Neuen hinstellen. Sowohl Marina Weisband als auch Katharina Nocun waren nach extrem kurzer Zeit wieder weg. Mittelfristig müssen wir dahin kommen, dass wir Leute für ihre politische Arbeit bezahlen. Wir können nicht erwarten, dass Leute das ganze Jahr durch die Gegend rennen, von Talkshow zu Talkshow, von Pressetermin zu Pressetermin, und dafür nichts bekommen außer den Fahrtkosten.
Gibt es nicht generell bei den Piraten eine riesige Skepsis gegenüber starken Führungspersönlichkeiten?
Ja, und diese Ablehnung von Machtpersönlichkeiten ist etwas, was die Piraten trotz aller Flügelkämpfe immer noch vereint. Wenn einer sich vorne hinstellt und sagt: „Ich bin der starke Max“, der hat verloren. Was uns die anderen Parteien aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung voraushaben, ist, dass die in den entscheidenden Momenten Dinge intern klären. Es wäre viel gewonnen, wenn man den Bundesvorsitzenden nicht via Twitter anpflaumt, sondern ihm ’ne Mail
schreibt. Dann generiert man nicht sofort diese Empörungswelle.
Lernen die anderen Parteien denn auch von den Piraten?
Ich denke schon, dass die Piraten etwas vorgelebt haben, wie Gruppen Entscheidungen finden können. Dass es nicht immer dieses Top-Down-Prinzip sein muss, wo die Führungsriege entscheidet, wie vorgegangen wird. Wenn man sich jetzt etwa den SPD-Mitgliederentscheid zur Großen Koalition anschaut: Die SPD ist 150 Jahre alt, die machen nicht so mal eben einen auf Basisdemokratie. Aber hey, sie tun zumindest mal ein Stück weit so. Da bewegt sich was. Es ist ein Diskurs da. Indirekt haben die Piraten da schon was angestoßen.
Was bedeutet Macht für dich?
Macht bedeutet, ein zweischneidiges Schwert in der Hand zu haben. Macht gibt mir die Möglichkeit, Dinge zu bewegen, aber gleichzeitig muss ich unglaublich vorsichtig sein, dass ich beim Ausholen niemandem hinter mir die Rübe abschneide. Ich glaube, dass jeder Mensch Macht hat, dass Macht nicht zwingend an eine Machtposition gebunden ist. Wenn sich viele Menschen zusammenschließen, dann haben die deutlich mehr Macht, als jemand, der von der Hierarchie her eigentlich der Stärkere ist. Macht zu bekommen erfordert aber Ausdauer. Ob das jetzt das Hocharbeiten auf einer Karriereleiter ist oder das Formieren eines Protests, man braucht für beides ’nen langen Atem.
Wann korrumpiert Macht?
Macht korrumpiert dann, wenn man sich ihrer nicht von Anfang an selbst bewusst ist. Macht ist nichts Schlechtes, solange sie einer gesellschaftlichen Kontrolle unterliegt. Macht korrumpiert automatisch, wenn diese Kontrolle fehlt.
Auf deinem Blog steht: „Parteien sind alt, machtgierig und doof.“
Ja, sind sie. Und zwar alle. Ich behaupte, dass eigentlich kein Mensch gern in einer Partei arbeitet. Parteien funktionieren ganz okay, weil noch niemand was Besseres erfunden hat.