Ständig heißt es, die Reichen hätten zuviel Geld. Dabei weiß gar niemand, wie viel sie eigentlich haben. Jetzt haben zwei Forscher eine neue Statistik-Methode entwickelt.

„Die X reichsten Deutschen haben Y Prozent des Vermögens.“ Solche Sätze lesen wir ständig, wenn es um soziale Ungleichheit und die Schere zwischen Arm und Reich geht. Der Witz ist: Eigentlich weiß keiner, wieviel Geld die Reichen hier im Land haben.

Geht es um Ungleichheit, muss man erstmal zwischen zwei verschiedenen Dingen unterscheiden: Einkommen und Vermögen. Die Verteilung des Einkommens lässt sich relativ gut abschätzen. Es gibt in Deutschland eine Einkommenssteuer, die (prinzipiell) auch reiche Leute bezahlen müssen. Also weiß der Staat aus den Steuererklärungen seiner Bürger in etwa, wer wie viel verdient.

Beim Vermögen ist das schwieriger. Da die Vermögenssteuer in Deutschland 1997 abgeschafft wurde, muss niemand offenlegen, wieviel er hat [1].

Studien, in denen die Vermögensverteilung ermittelt werden (in Deutschland vor allem das Sozio-ökonomische Panel, SOEP), stützen sich daher auf Befragungen. Die rufen bei Leuten an und fragen, wie viel Geld sie haben. Die Wahrscheinlichkeit, da einen Milliardär zu erwischen ist ziemlich klein – bei den elftausend Befragten des SOEP etwa 1,6 Prozent [2]. Noch unwahrscheinlicher ist, dass der Auskunft gibt.

Nun tut es Diskussionen aller Art in der Regel gut, wenn sie auf der Grundlage von Fakten stattfinden. Noch besser ist es, wenn diese Fakten auch stimmen. Ganz besonders gilt das für Themen wie soziale Gerechtigkeit. Zum Glück erscheint heute eine Studie von Markus Grabka und Christian Westermeier, in der die beiden DIW-Forscher mit neuen Methoden die Vermögensstatistik verbessern möchten.

Bildquelle: DIW

Grabka und Westermeier verwenden dazu die Forbes-Liste aller Milliardäre der Welt. Das ist natürlich keine besonders verlässliche Quelle (u.a. weil sie total intransparent ist, Quellen und Methodik werden nicht veröffentlicht) – aber eine bessere konnten die Forscher nicht finden. Die Liste enthält 1645 Menschen mit einem Vermögen über einer Milliarde US-Dollar, darunter 85 Deutsche. Im Jahr 2012, auf das sich die Studie bezieht, waren es 55 [3].

Diese Zahl verwenden Grabka und Westermeier, um mittels eines statistischen Verfahrens die bisherigen Zahlen zur Vermögensverteilung zu korrigieren. Sie nehmen dazu eine Pareto-Verteilung an und ersetzen für das obere Ende der Skala die empirischen Befragungsdaten mit den Ergebnissen ihrer Simulation. Die Parameter der Verteilung schätzen sie aus den Forbes-Daten. Wenn man sich für Stastistik interessiert, sind die Ausführungen zur Methodik interessant.

Diese Vorgehensweise ist ziemlich wild. Grabka und Westermeier nehmen daher hohe Fehlertoleranzen an. In jedem Fall ergeben ihre Ergebnisse jedoch eine deutlich stärkere Konzentration des Reichtums als bisher angenommen. Die Süddeutsche schreibt:

So gehören den 0,1 Prozent der reichsten deutschen Haushalte 14 bis 16 Prozent des Gesamtvermögens. Das ist dreimal so viel wie jene fünf Prozent, von denen die Statistiker bisher ausgingen. Der Anteil des reichsten Prozents der Deutschen steigt von bisher angenommenen 18 Prozent auf 31 bis 34 Prozent; ihnen gehört also ein Drittel des Gesamtvermögens. Und die reichsten zehn Prozent der deutschen Haushalte vereinigen sogar 63 bis 74 Prozent des Gesamtvermögens auf sich, ermittelten die DIW-Forscher; bisher war man von lediglich 60 Prozent ausgegangen.

Kein Wunder, dass das inzwischen den Milliardären selbst unheimlich wird.

Was mich und meinen Gesprächspartner in der Cafeteria übrigens gewundert hat: Vermögen sind nicht steuerpflichtig, durchaus aber Kapitalerträge, also Zinsen, Mieteinnahmen etc. Sind dazu Daten verfügbar? Lassen sich daraus keine Rückschlüsse ziehen? Wer was weiß oder eine Theorie hat, gerne in die Kommentare schreiben.

Update (17. Februar 2015): Auf Nachfrage schreibt mir Christian Westermeier per E-Mail:

Man könnte von den Kapitalerträgen sicherlich Rückschlüsse auf das zugrunde liegende Vermögen schließen (wenn auch nur unter sehr großem Aufwand). Seit der Einführung der Abgeltungssteuer als Quellensteuer sind die Kapitalerträge größtenteils aber nicht mehr einzelnen Personen oder Haushalten zuzuordnen, da sie seitdem direkt von der Bank bspw. an das zuständige Finanzamt abgeführt werden. Es ist nur noch bekannt, wie groß das gesamte Steueraufkommen ist. Auch hier ergibt sich so leider keine nützliche Datenquelle.

Fußnoten:

[1] Es ist auch nicht  ganz klar, was man unter Vermögen versteht. Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung werden in der Regel nicht berücksichtigt; dabei machen die in Deutschland einen großen Teil aus (in Griechenland weniger, was der Bild-Zeitung schon für einige Hetz-Schlagzeilen diente). Auch Hausrat (einschließlich Autos) bleibt häufig außen vor. Bei der Wertermittlung von Immobilien gibt es große Unterschiede.

[2] Mathematisch handelt es sich um ein Bernoulli-Problem. Laut Forbes gibt es in Deutschland 55 Milliardäre. Das Statistische Bundesamt zählte 2013 insgesamt 39,933 Millionen Haushalte. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem zufällig ausgewählten Haushalt ein Milliardär wohnt, beträgt damit 55/39933000=0,00014 Prozent (Trefferwahrscheinlichkeit). Bei der SOEP-Studie werden 11.447 Haushalte befragt (Anzahl der Versuche). Nehmen wir an, diese werden komplett zufällig unter allen Haushalten in Deutschland ausgewählt (was nicht ganz stimmt). Dann beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass in mindestens einem dieser Haushalte ein Milliardär wohnt, 1,6 Prozent. Mit 98,4 Prozent Wahrscheinlichkeit erreicht die SOEP-Umfrage also keinen einzigen Milliardär (Berechnung im Spreadsheet). Den SEOP-Leuten ist das Problem bewusst. Sie führen daher eine gesonderte Befragung durch mit dem Ziel, mehr über reiche Leute zu erfahren. Diese fand zuletzt 2002 statt; es wurden 1.224 Haushalte mit einem monatlichen Einkommen über 4.500 Euro befragt.

[3] Eine andere Liste des Manager-Magazins kommt auf 135 deutsche Euro-Milliardäre. Grabka und Westermeier halten jedoch Forbes für die besssere Quelle.