Words And Numbers

Autor: cendt (Seite 9 von 19)

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Meine persönlichen Konsequenzen aus Snowden, leider etwas spät

Letztens war hier recht ausführlich von Edward Snowden, der NSA und diesem ganzen Überwachungskram die Rede. Um diesem ganzen Reden auch ein wenig Handeln zur Seite zu stellen, möchte ich heute über die Dinge berichten, die ich in letzter Zeit gegen meine eigene Überwachung unternommen habe. Vielleicht hilft es jemamden, der sich auch ein kleines bisschen schützen möchte.

Die beiden wichtigsten Maßnahmen waren ein neuer Mail-Anbieter und das Einrichten von Verschlüsselungssoftware.

Bis vor kurzem war ich ein sehr aktiver Google-User. Ich habe nahezu alles, was ich im Netz so tue, über irgendwelche Google-Dienste erledigt. Surfen mit Chrome. Mail, Kontakt- und Terminverwaltung mit Gmail. Dokumente in Google Drive, Notizen in Google Keep. Google kooperiert nicht nur mit der NSA, sondern ist auch selbst ein sehr großer Datensammler. Keine Ahnung, was die damit tun. Die Summe an Daten, die ich ihnen geschenkt habe, wurde mir jedenfalls irgendwann zu groß.

Daher wechselte ich zu Posteo, einem Start-Up aus Berlin-Kreuzberg, gegründet von Ex-Greenpeaclern. Posteo blendet keine Werbung ein und handeln nicht mit Daten. Woher kriegen die dann ihr Geld?

Ja, Posteo kostet Gebühren. In der Basisvariante einen Euro pro Monat. Aber es gibt eine Regel: Wenn ein Service nichts kostet, bist du nicht der Kunde, sondern das Produkt. Gmail ist für dich kostenlos, weil Google deine Daten verkauft. Darum zahle ich gerne für meinen Mail-Anbieter.

Man kann das rein betriebswirtschaftlich sehen: Wie viel ist die Summe meiner Mail-, Kontakt- und Kalenderdaten wohl wert? Ist der Wert größer als zwölf Euro pro Jahr, mache ich mit Posteo ein gutes Geschäft. Sind es weniger, wäre Gmail ökonomisch sinnvoller. Ich kenne mich auf den Datenmärkten nicht gut aus. Persönlich habe ich jedenfalls das Gefühl, mich bei Google zu billig zu verkaufen.

Recht lustig ist der Transparenzbericht, den Posteo vor ein paar Wochen veröffentlicht hat. Darin steht, dass es 2013 sieben Anfragen von Behörden zur Datenherausgabe gab. Einmal wurden Daten herausgegeben. Einmal wurden Daten angefragt, die bei Posteo nicht vorliegen (es ging um Bankdaten; man kann anonym per Bargeld-Brief bezahlen). Fünfmal wurde die Anfrage abgelehnt, da sie „formal nicht korrekt“ waren. Viermal hat Posteo daraufhin Anzeige gestellt, u. a. wegen

Nötigung, Ermunterung zu rechtswidriger Kooperation, Missachtung geltenden Rechts, Anordnung einer Postfachbeschlagnahmung, Verkehrsdatenabfrage und TKÜ ohne ausreichende rechtliche Grundlage, Anordnung einer Durchsuchung bei Posteo ohne ausreichende rechtliche Grundlage.

Den Webmailer von Gmail fand ich so komfortabel, dass ich unter Windows gar keine eigene Mail-Software installiert hatte und alles im Browser gemacht habe. Der Posteo-Webmailer ist auch in Ordnung, reicht aber nicht an Gmail heran. Darum habe ich mir jetzt wieder Thunderbird installiert, mit dem Add-On Lightning für den Kalender. Mit dieser Lösung bin ich sehr zufrieden.

Das alles auch mobil, auf meinem Android-Telefon, zum Laufen zu bringen, war etwas aufwändiger. Statt der üblichen Google-Apps nutze ich aktuell K-9 Mail und Cal, beide sind super. Zum Datenabgleich mit den Posteo-Servern braucht man die kostenpflichtige Zusatzapp DAVdroid. Wie das genau funktioniert, wird bei Posteo super erklärt. Nach der Einrichtung auch hier volle Zufriedenheit.

Den Chrome-Browser habe ich auf allen Geräten wieder durch Firefox ersetzt. Mozilla hat in der Zwischenzeit deutlich aufgeholt. Die Sync-Funktion, mit denen ich Tabs und Lesezeichen zwischen Notebook und Telefon austausche, funktioniert mitterweile besser als bei Chrome, so mein Eindruck.

2013-11-24 23.46.03Google Drive nutze ich nur noch für einige Dokumente, die ich gemeinsam mit anderen bearbeite. Alles andere erstelle ich in OpenOffice und speichere es auf meiner Festplatte in der Dropbox. Das ist gerade noch eine Baustelle: Nach einem europäischen Cloud-Anbieter muss ich mich noch umsehen (Hinweise gerne!). Für Notizen nutze ich derzeit Stift und Papier. Manchmal sende ich mir selbst E-Mails mit Links und Erinnerungen.

Heute, zur Feier des Jahrestages der Snowden-Enthüllungen, habe ich endlich eine Verschlüsselungssoftware auf meinem Rechner eingerichtet. Jetzt kann ich PGP-verschlüsselte Mails schreiben und empfangen. Geholfen haben mir dabei diese Anleitung von Patrick Beuth und die Software GPG4win samt ausführlicher Anleitung. Hier steht mein öffentlicher Schlüssel.

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Der Zauberwürfel von Edward Snowden

Glenn Greenwald: No Place To Hide

In „No Place To Hide“ von Glenn Greenwald steht kaum etwas Neues. Wer die Snowden-Enthüllungen ein bisschen verfolgt hat, kennt den Inhalt schon. Lest es trotzdem.

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Das Buch (deutsche Ausgabe: „Die globale Überwachung“) beginnnt mit einer Nacherzählung von Greenwalds Zusammenarbeit mit Edward Snowden. Die ersten beiden Kapitel, „Contact“ und „Ten Days in Hong Kong“, sind relativ kurz und spannend wie ein Thriller. Sie handeln von zwei Männern und einer Frau, die für das Gute kämpfen und vor bösen Agenten fliehen. Wäre das sein Spielilm, man würde manche Details für überzogen und unglaubwürdig halten. Etwa wenn Greenwald seine Begleiterin Laura Poitras beim ersten Treffen fragt, woran sie Snowden erkennen würden, und diese antwortet: „He’ll be carrying a Rubik’s Cube.“ Einige Minuten später steht Snowden dann vor ihnen, in der Hand einen Zauberwürfel. Sie gehen auf sein Hotelzimmer, stecken ihre Handys in den Kühlschrank und legen Kissen vor den Türspalt. Dann beginnen Greenwald, Poitras und Snowden mit der Arbeit an den NSA-Dokumenten.

Deren Inhalt behandelt das umfangreichste Kapitel, „Collect It All“. Darin beschreibt Greenwald, wie die NSA-Überwachungsprogramme funktionieren. Das ist eine Zusammenfassung der Enthüllungen, die seit Juni 2013 nach und nach veröffentlicht worden. Dieser Abschnitt ist mit vielen Originaldokumenten aus dem Snowden-Fundus, großteils Powerpoint-Folien, viele davon stümperhaft zusammengebastelt. Der Verlag bietet alle im Buch abgebildeten Dokumente frei zum Download an.

Ein wichtiger Bestandteil ist die Zusammenarbeit mit den großen amerikanischen Internet-Firmen Google, Facebook, Yahoo!, Microsoft und Apple. Die gewähren der NSA umfangreichen Zugriff auf ihre Datenbanken. In Amerika produzierte Router, etwa von Cisco, werden vor dem Export von der NSA abgefangen und mit Spionagetechnik ausgerüstet. Der britische Geheimdienst GCHQ zapft Unterseekabel an.

Viel Raum widmet Greenwald der Frage, was die Geheimdienste mit ihrer Überwachung bezwecken. Die wichtigste Erkenntnis: Es geht nicht um Terrorismus. Ein winziger Teil der Datensammlerei dient vielleicht tatsächlich dem „Krieg gegen den Terror„. Über diese Programme wurden Parlamente und Öffentlichkeit von Anfang an halbwegs informiert. Durch die vorher geschürte Angst vor Anschlägen ist eine gewisse Akzeptanz vorhanden.

Leider bringt die ganze Überwacherei nichts – sie verhindert keine Terrorattacken. Greenwald zitiert diese entlarvende Passage aus einem Gastbeitrag dreier US-Senatoren in der New York Times:

The usefulness of the bulk collection program has been greatly exaggerated. We have yet to see any proof that it provides real, unique value in protecting national security. In spite of our repeated requests, the N.S.A. has not provided evidence of any instance when the agency used this program to review phone records that could not have been obtained using a regular court order or emergency authorization.

Die Überwachung hilft nur nicht dabei, die Welt sicherer zu machen. Sie macht die Welt unsicherer. Denn die Schlupflöcher, die für die Geheimdienste in unsere Kommunkationssysteme eingebaut werden, stehen auch anderen offen.

Aber wie gesagt, um Terrorabwehr geht es eh nicht so wirklich. Die Spionage richtet sich ebenso gegen profane Kriminalität, etwa Drogenhandel. Außerdem dienen die NSA-Programme der politischen und Wirtschafts-Spionage. So wurden etwa im Vorfeld von Gipfeltreffen andere Regierungen ausgespäht, um deren Verhandlungsstrategie auszukundschaften. Auch das Handy von Kanzlerin Merkel steht bekanntlich auf der Liste. Der brasilianische Ölkonzern Petrobas war ebenfalls Ziel der Überwachung.

Der allergrößte Teil der Überwachung geschieht allerdings völlig ohne Grund. Einfach, weil sie’s können. Greenwald schreibt:

Some of the surveillance was ostensibly devoted to terrorism suspects. But great quantities of the programs manifestly had nothing to do with national security. The documents left no doubt that the NSA was equally involved in economic espionage, diplomatic spying, and suspicionless surveillance aimed at entire populations.

[Seite 94]

Oder, wie es Ex-NSA-Chef Alexander ausdrückt: „Collect it all.“

Im Kapitel „The Harm Of Surveillance“ begründet Greenwald, warum Überwachung gefährlich ist. Es gehört zu den großen Seltsamkeiten im Zusammenhang mit den Snowden-Enthüllungen, dass man das immer noch, immer wieder erklären muss. Dass man immer noch an jeder Ecke den Satz hört: „Ich habe nichts zu verbergen.“


Diese Behauptung stimmt fast nie, wie eine aktuelle ZDF-Doku zeigt. Aber selbst wenn, ist sie Quatsch. Klar, wer brav jeden Tag zur Arbeit geht und am Sonntag in die Kirche, wer sein Kreuz in einem der ersten beiden Felder macht und sich sonst aus Politik heraus- und seine Meinung für sich behält, der hat erstmal nicht so viel zu befürchten. Dennoch ist er mitbetroffen, wenn die Freiheit von Journalisten, Oppositionellen, Aktivisten, Andersdenkenden eingeschränkt wird. Denn dann geht die Freiheit der Gesellschaft vor die Hunde. Zum Beispiel ist in Deutschland die Skepsis gegen das Freihandelsabkommen TTIP weit verbreitet. Aber nur eine handvoll Leute engagieren sich dagegen. Eine davon ist Maritta Strasser, der kürzlich die Einreise in die USA verweigert wurde. Greenwald schreibt den eigentlich trivialen Satz:

The true measure of a society’s freedom is how it treats its dissidents and other marginalized groups, not how it treats good loyalists.

[Seite 196]

Ein weiteres Problem ist, dass vor allem Leute jenseits der Vierzig (und die sitzen an den Machtpositionen) das Internet immer noch irgendwie für ein Spielzeug halten und dessen Bedeutung für unsere Welt maßlos unterschätzen. Das ist ein Irrtum. Sascha Lobo sagte kürzlich in einer Rede:

Es geht nicht mehr um Internet-Überwachung, es geht um Welt-Überwachung mit dem Internet.

In einer funktionierenden Demokratie sollte es so sein, dass die Bürger ein Recht auf Privatsphäre haben, die Handlungen des Staates aber für alle transparent sind. Dieses Verhältnis ist inzwischen fast vollständig umgekehrt. In Amerika, aber auch in Deutschland.

Im Epilog schreibt Greenwald von Ed Snowdens großer Sorge: Nämlich, dass sich keiner so recht für seine Enthüllungen interessiert und alles umsonst gewesen ist. Dies sei glücklicherweise nicht eingetroffen.

An dieser Stelle kann ich nicht ganz mitgehen. Klar, die Snowden-Enthüllungen haben riesige Aufmerksamkeit erhalten, haben das Thema Überwachung in den Medien sehr viel präsenter gemacht. Auch politisch tut sich was. In den USA arbeitet der Kongress an einem Gesetz, das die Geheimdienste in ihre Schranken weisen soll. In Deutschland hat ein parlamentarischer Untersuchuchungsausschuss die Arbeit aufgenommen. Aber das US-Gesetz wird in den Ausschüssen bis zur Nutzlosigkeit aufgeweicht. Der U-Ausschuss wird wahrscheinlich folgenlos bleiben wie die meisten vor ihm.

Vor allem aber ist der Bevölkerung das ganze Thema weitgehend egal. Auf persönlicher Ebene passiert nichts, um sich vor Überwachung zu schützen. So ist mein Wechsel von WhatsApp zu Threema gescheitert, da kaum jemand mitgegangen ist. Bei der Bundestagswahl wurden die Parteien wiedergewählt, denen Datenschutz egal ist. Die Piraten sind tot. Auch die Grünen, die mit Ströbele zumindest eine glaubwürdige Spitzenfigur haben, die sich gegen Überwachung engagiert, haben Stimmen verloren. Und so etwas wie wirklicher Protest oder eine Bewegung gegen die unkontrollierte, grenzenlose Macht der Geheimdienste ist weit und breit nirgendwo zu erkennen.

Snowden und Greenwald haben das Thema Überwachung zum Gesprächsthema gemacht. Das ist gut und wichtig. Ihre Enthüllungen sind eine journalistische Meisterleistung und eine bürgerrechtliche Heldentat. Trotzdem sieht es danach aus, als würde sich nichts ändern und die Überwachung weitergehen wie bisher.

Ich denke, es ist ein guter Anfang, dieses Buch zu lesen. Auch wenn nicht viel neues drinsteht. Man kann das Ausmaß dieser ganzen Geschichte so oder so nicht fassen. Aber sie so systematisch, an einem Stück und aus erster Hand erzählt zu bekommen, hilft dabei, ein Gefühl für den Irrsinn zu entwickeln.

„Wer sich vorne hinstellt, hat verloren“

Interview mit dem Pirat Vinzenz Vietzke

erschienen in presstige #26

Mit Macht haben Piraten ein Problem. Darum achten sie sehr darauf, dass keiner von ihnen zu viel davon bekommt. Ist das der Grund für ihr Scheitern? Darüber sprachen wir mit Vinzenz Vietzke, bis Februar Vorsitzender der Piratenpartei in Augsburg.

Foto: privat

Foto: privat

presstige: Warum hast du dich vom Parteivorsitz zurückgezogen?

Vinzenz Vietzke: Ich hab das jetzt viele Jahre Vollgas gemacht und irgendwann ist die Luft einfach raus. Ich wollte auch mal wieder Zeit für andere Dinge haben.

Vor zwei Jahren gab es einen mega Hype um die Piraten, der inzwischen komplett vorbei ist. Was ist schiefgelaufen?

2012 waren wir in den Umfragen ja teilweise im zweistelligen Bereich. Dass das unrealistisch war, war klar. Trotzdem hätte man sich mehr erhofft. Im Nachhinein sehe ich schon, wo wir Fehler gemacht haben: Wir sind über dieses von der Öffentlichkeit hingehaltene Stöckchen „Ihr habt ja gar kein Programm!“ ganz lange reflexartig drüber gesprungen. Jetzt haben wir zu allen Themen irgendwelche Aussagen, die aber zum Teil unausgereift sind. Und was noch viel schlimmer ist: Wir haben dadurch unser Profil aufgeweicht. Wir sind nicht mehr die Netzpartei, sondern wir sind der zerstrittene Haufen, bei dem nicht klar ist, wofür der eigentlich steht. Das ist, glaube ich, der Grund, warum wir jetzt bei einem oder zwei Prozent rumdümpeln.

Ist das auch der Grund, warum ihr von der Snowden-Affäre so gar nicht profitiert habt? Weil ihr da schon zu oft gesagt habt: Wir sind gar keine Netzpartei?

Das trifft’s sehr genau. Wir haben uns abgestrampelt über den Sommer hinweg, haben gemacht, was nur ging, und es kam nichts dabei rum. Es passiert überhaupt keine Reaktion auf das, was du die ganze Zeit laut in die Welt schreist. Das verhallt einfach so. Das ist auch ein Grund, warum sich viele Leute inzwischen zurückziehen. Die Leute, die lange gestrampelt haben, sind einfach ausgebrannt.

Liegt das nicht eher an den Streitigkeiten innerhalb der Partei?

Ich könnte nicht sagen, was da überwiegt. Die inhaltliche Geschichte ist das Eine, das Andere ist dieses parteiintern nicht klare Verständnis, was Transparenz eigentlich bedeutet. Transparenz bedeutet nämlich nicht, ich muss jedem auf die Nase binden, mit wem ich mich gerade streite. Sondern, dass ich den Leuten deutlich machen muss, wie wir zu Entscheidungen kommen, wie Prozesse laufen, warum wir etwas so und so sehen.

Bei den Piraten wird häufig mit einer unglaublichen persönlichen Aggressivität gestritten.

Ja, wir hatten Fälle, die durchaus strafrechtlich relevant waren. Wenn mich so einer auf der Straße anredetet, dann zeig‘ ich den an. Und bei uns hieß es immer: Wir sind ’ne Freiheitspartei, soll doch jeder, wie er will. Nee, es gibt Grenzen! Diese Grenzen haben wir oft viel zu spät durchgesetzt. Wir müssen die Regeln, die wir für die Gesellschaft haben wollen, das Menschenbild, der respektvolle Umgang miteinander, auch intern umsetzen.

Die Piraten haben bei ihren Vorstandsämtern eine wahnsinnige Fluktuation. Eine Partei braucht aber bekannte Gesichter, um ihre Themen in der Öffentlichkeit zu transportieren.

Ja, wir haben’s nicht geschafft, die Persönlichkeiten, die wir in der Öffentlichkeit hatten, langfristig aufzubauen. Du kannst nicht ständig jemand Neuen hinstellen. Sowohl Marina Weisband als auch Katharina Nocun waren nach extrem kurzer Zeit wieder weg. Mittelfristig müssen wir dahin kommen, dass wir Leute für ihre politische Arbeit bezahlen. Wir können nicht erwarten, dass Leute das ganze Jahr durch die Gegend rennen, von Talkshow zu Talkshow, von Pressetermin zu Pressetermin, und dafür nichts bekommen außer den Fahrtkosten.

Gibt es nicht generell bei den Piraten eine riesige Skepsis gegenüber starken Führungspersönlichkeiten?

Ja, und diese Ablehnung von Machtpersönlichkeiten ist etwas, was die Piraten trotz aller Flügelkämpfe immer noch vereint. Wenn einer sich vorne hinstellt und sagt: „Ich bin der starke Max“, der hat verloren. Was uns die anderen Parteien aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung voraushaben, ist, dass die in den entscheidenden Momenten Dinge intern klären. Es wäre viel gewonnen, wenn man den Bundesvorsitzenden nicht via Twitter anpflaumt, sondern ihm ’ne Mail
schreibt. Dann generiert man nicht sofort diese Empörungswelle.

Lernen die anderen Parteien denn auch von den Piraten?

Ich denke schon, dass die Piraten etwas vorgelebt haben, wie Gruppen Entscheidungen finden können. Dass es nicht immer dieses Top-Down-Prinzip sein muss, wo die Führungsriege entscheidet, wie vorgegangen wird. Wenn man sich jetzt etwa den SPD-Mitgliederentscheid zur Großen Koalition anschaut: Die SPD ist 150 Jahre alt, die machen nicht so mal eben einen auf Basisdemokratie. Aber hey, sie tun zumindest mal ein Stück weit so. Da bewegt sich was. Es ist ein Diskurs da. Indirekt haben die Piraten da schon was angestoßen.

Was bedeutet Macht für dich?

Macht bedeutet, ein zweischneidiges Schwert in der Hand zu haben. Macht gibt mir die Möglichkeit, Dinge zu bewegen, aber gleichzeitig muss ich unglaublich vorsichtig sein, dass ich beim Ausholen niemandem hinter mir die Rübe abschneide. Ich glaube, dass jeder Mensch Macht hat, dass Macht nicht zwingend an eine Machtposition gebunden ist. Wenn sich viele Menschen zusammenschließen, dann haben die deutlich mehr Macht, als jemand, der von der Hierarchie her eigentlich der Stärkere ist. Macht zu bekommen erfordert aber Ausdauer. Ob das jetzt das Hocharbeiten auf einer Karriereleiter ist oder das Formieren eines Protests, man braucht für beides ’nen langen Atem.

Wann korrumpiert Macht?

Macht korrumpiert dann, wenn man sich ihrer nicht von Anfang an selbst bewusst ist. Macht ist nichts Schlechtes, solange sie einer gesellschaftlichen Kontrolle unterliegt. Macht korrumpiert automatisch, wenn diese Kontrolle fehlt.

Auf deinem Blog steht: „Parteien sind alt, machtgierig und doof.“

Ja, sind sie. Und zwar alle. Ich behaupte, dass eigentlich kein Mensch gern in einer Partei arbeitet. Parteien funktionieren ganz okay, weil noch niemand was Besseres erfunden hat.

„Ich will keine neue Weltordnung – ich will nur ’nen Fleck in dieser“

Broilers – Ich will hier nicht sein

In diesem Posting kommen zwei Themen zusammen, für die ich mich sehr interessiere und die in diesem Blog schon öfter Thema waren: Punkrock und Asyl. Die Düsseldorfer Punkband Broilers hat einen Song über die Schicksale von Flüchtlingen geschrieben. Das Video zu „Ich will hier nicht sein“ feierte gestern Premiere, und die Kombination aus Text, Musik und Film ist wirklich bewegend. Es geht um Menschen, die in ihrer Heimat nicht bleiben können:

Von dem was ich hatte
blieb nur der Rauch.

Die aber auch an ihrem neuen Wohnort unerwünscht sind.

Das was ich damals lernte,
das was ich weiß,
ist hier vollkommen ohne Bedeuteung
hier sind alle gleich.
Gleich wenig willkommen,
gleich wenig beliebt.
Gleichermaßen umkämpft,
ein bisschen wie im Krieg.

In der dritten Strophe äußert der Protagonist einen bescheidenen Wunsch:

Ich will keine neue Weltordnung – ich will nur ’nen Fleck in dieser.

Durch widerkehrende „Wuhuuhuu“-Chöre wirkt „Ich will hier nicht sein“ hymnisch und leicht, trotz des traurigen Themas.

Der Song wird im Video immer wieder runtergepegelt, um kurzen Statements von Flüchtlingen Raum zu geben. Diese wurden nach Angaben der Band in Berliner Flüchtlingsheimen aufgenommen.

Mehr zum Thema Flucht und Asyl:

Die neue presstige: Ausgabe 26 über Macht

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Heute erschien die neue und 26ste Ausgabe von presstige, dem Augsburger Hochschulmagazin. Es widmet sich schwerpunktmäßig dem Thema Macht. Ich durfte wieder als Teil der Chefredaktion mitarbeiten. Es ist eine wahnsinnig spannende Erfahrung, die Entstehung so eines Magazins komplett mitzuerleben. Vom ersten Brainstorming, über die Themenplanung, Recherche bis zur Endredaktion steht sehr, sehr viel Arbeit dahinter. An dieser Stelle einen großen Dank an das gesamte Team, allen voran an Petra, Natalia und Jan. Mit euch hat es immer Spaß gemacht. Ihr rockt!

Hier kann man die digitale Ausgabe durchblättern:

Gelesen (8)

Jeder Griff ins Regal ist eine politische Handlung. […] Niemand, der Fair Trade kauft, tut etwas Gutes. Sondern bloß etwas Faires. […] Dass jemand, der am Markt fair agiert, schon als gut gilt, und jener, der mit seinem Konsum die Ausbeutung vorantreibt, als normal, zeigt, wie pervers der Markt geworden ist.

Benedikt Narodoslawsky in Falter 20/2014

Banker und Punks

Was ich hier noch festhalten möchte, sind ein paar Sätze, die Constantin Seibt diese Woche auf der re:publica gesagt hat. Seibt ist ein Schweizer Journalist. Er ist Autor des Blogs „Deadline“ und des gleichnamigen Buches. In beiden hat er kluge Dinge darüber aufgeschrieben, wie sich der Journalismus verändern muss, um die Medienkrise zu überstehen. Davon handelt auch der re:publica-Vortag. Vorher allerdings sagt Seibt interessante Dinge über Punk:

Ich war eigentlich für Punk. Ich sah nicht so aus, aber im Herzen war ich einer. Die Schweiz musste in die Luft gesprengt werden, so satt und zufrieden wie sie war. Und ich hielt Banker für Schwiegersöhne, die im Haus im Grünen leben. Ein langweiliges Leben mit einem guten Einkommen. Keine Option. Ich habe mich geirrt. Die Punks haben ganz gute Musik gemacht und in Zürich eine Beisl-Szene organisiert. Aber die Schwiegersöhne haben beinahe das Weltfinanzsystem in die Luft geprengt. Und sind auch noch damit davon gekommen. Es ist so, dass ich dann immer einen leisen, bitteren Neid fühle, wenn ich mit Bankern spreche. Sie haben das erreicht, was ich in meiner Jugend wollte.

An dieser Stelle schweift er ein bisschen ab. Aber dann kommt’s:

Deshalb ist Punk heute eigentlich nicht mehr Zerstörung, nicht mehr die Atombombe auf die Schweiz. Sondern der eigentliche Protest ist heute, gute Arbeit zu machen. Etwas Konstruktives. Das ist das, was die Anderen nicht hinkriegen.

Ich finde das eine sehr interessante Folgerung aus der Finanzkrise.

Hier der Vortrag auf Video. Die zitierte Passage beginnt etwa bei 3:00. Ab 6:00 geht es dann ins Medien-Spezifische.

Plastikmeer

Heineken auf 950 Metern Tiefe. Foto: Pham et al.

Heineken auf 950 Metern Tiefe. Foto: Pham et al.

Nochmal eine kleine Notiz zu Plastik im Meer: Ein Forscherteam hat über 10 Jahre gründlich nach Müll im Mittelmeer gesucht. Und überall welchen gefunden. Einer der Forscher wird im Guardian so zitiert:

This survey has shown that human litter is present in all marine habitats, from beaches to the most remote and deepest parts of the oceans. Most of the deep sea remains unexplored by humans and these are our first visits to many of these sites, but we were shocked to find that our rubbish has got there before us.

Es gibt also, zumindest im Mittelmeer, keine unberührte Tiefsee mehr. Der Müll ist überall. Die häufigsten Abfallarten im Mittelmeer sind Plastiktüten, Glasflaschen und Fischernetze. Wirklich überrascht zeigen sich die Forscher in ihrem Fazit nicht, schließlich gäbe es von anderen Erdteilen ähnliche Ergebnisse. Südlich von Japan habe man noch in 7216 Metern Tiefe Abfälle gefunden.

Jeder EU-Bürger verbraucht pro Jahr 198 Plastiktüten, schätzt die EU-Kommission. Immer wieder wird über ein Verbot oder eine Besteuerung diskutiert, um diese Zahl zu senken. Vielleicht tut sich nach den Europawahlen etwas.

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Schuhe vom Strand

Man müsste viel öfter einfach mal machen, dachte ich mir beim Ansehen dieses Videos. Ein paar Jungs aus UK gehen darin ans Meer, sammeln wahllos Plastikmüll ein und stellen daraus Sneakers her. Die auch noch ziemlich cool aussehen. Also ich würde sie anziehen. Gibt es aber leider nicht zu kaufen. Da hilft nur selbst mal wieder ans Meer zu fahren…

via Grist

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Rana Plaza, ein Jahr danach

Heute vor einem Jahr starben 1.129 Menschen* beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Dhaka, Bangladesch. 2.500 Arbeiterinnen überlebten das Unglück, die meisten verletzt und/oder traumatisiert. Ein Untersuchungsbericht stellte grobe Fahrlässigkeit als Hauptursache fest. Zu den Unternehmen, die in der Fabrik produzieren liesen, gehören C&A, Mango, KiK und mindestens 25 weitere westliche Marken.

Alle zusammen, schreibt Zeit Online, machen einen Jahresumsatz von 20 Milliarden Dollar. Für die Entschädigung der Opfer von Rana Plaza wurde ein Hilfsfond eingerichtet, der von Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern unterstützt wird. 40 Millionen Dollar sollen die Modekonzerne einzahlen, das sind 0,5 Prozent ihres Umsatzes. Bisher kamen gerade einmal 15 Millionen zusammen.

Insgesamt arbeiten in Bangladesch 3,8 Millionen Menschen in der Textilindustrie. Auch wenn die Meisten nur Hungerlöhne bekommen, sind diese Jobs für die Wirtschaft des Landes überlebenswichtig. Würden die Modekonzerne aufgrund des Imageschadens, den die Rana Plaza-Katastrophe für den Produktionsstandort Bangladesch bedeutet, auf andere Staaten ausweichen, wäre das der Worst Case für die Bangladescher. Die Alternative ist eine Verbesserung der Sicherheitsstandards. Tatsächlich gibt es dazu vielversprechende Ansätze, bei denen zum Teil rechtsverbindliche Abkommen geschlossen wurden. Natürlich gibt es Lücken, etwa wurden Sub-Subunternehmen nicht einbezogen. In anderen Bereichen konnte man auch in Bangladesch durchaus etwas bewegen, schreibt Amy Yee in der New York Times:

Change can happen in Bangladesh. It has before. The country, for instance, has a surprisingly effective cyclone warning system that relies on village volunteers. This simple, grass-roots system has been credited with saving tens of thousands of lives during violent storms.

Eine schöne Übersicht, welche Modemarken wo produzieren lassen, und welche Standards dort herrschen, liefert diese interaktive Grafik von Zeit Online.

Kürzlich jährte sich auch die Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko. Der Atlantic nahm beide Jahrestage zum Anlass für die schöne Analyse „Why corporations fail to do the right thing“. Zu den Gründen, die die Autorin fand, gehören Kommunikationsprobleme in den Konzernen, die Nicht-Sichtbarkeit von ausbleibenden Katastrophen und die Tatsache, dass Kunden für bessere Sozial- und Umweltstandards keinen Mehrpeis bezahlen möchten.

Zum Schluss und völlig ohne Zusammenhang zwei Links zu empfehlenswerten Faitrade-Modelabels:

*Zahl aus der New York Times, in anderen Quellen abweichend