Words And Numbers

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Trump und wir

  • Am Morgen nach der Präsidentenwahl in den USA habe ich im Schock ein paar Zeilen auf Facebook geschrieben. Zu Archivzwecken stelle ich sie auch hier ein.

Wir sollten jetzt besser nicht kopfschüttelnd zu diesen Amerikanern rüberschauen. Ja, in den USA ist vieles besonders krass und grell. Und ich hoffe sehr, dass jemand wie Trump in Europa nicht gewählt werden würde. Aber die Zutaten dieser Katastrophe gibt es alle auch bei uns: den Vertrauensverlust in Politik und Medien. Den Abstieg der Mittelschicht. Millionen Leute, die in prekären Scheißjobs festhängen. Den Hass.

Ich fürchte, die Zeiten in denen Amerika die Trends für die gesamte westliche Welt setzt, sind noch nicht vorbei. Wir müssen jetzt für unsere Demokratie kämpfen.

Daraufhin entstand eine kleine Diskussion, die sich unter anderem darum drehte, wie schlimm das mit diesem Trump nun wirklich ist, wie schlimm es noch wird und was wir tun können.

https://www.facebook.com/cendt/posts/10209693796394557?pnref=story

Von den vielen Artikeln, die ich seither über die Wahl und ihre Folgen gelesen habe, möchte ich zwei kurz zitieren und verlinken.

  • Johannes Kuhn ist SZ-Reporter in New Orleans. Er schreibt auf seinem Blog kopfzeiler.org:
    „Was Deutschland lernen kann? Redet miteinander, auch wenn Eure Freunde andere politische Meinungen haben. Respektiert das Landleben, respektiert das Anderssein, seht den Menschen, bleibt den Tatsachen treu. Glaubt nicht, dass liberaler Fortschritt ein Naturgesetz ist. Arbeitet daran, die Dinge besser zu machen.“
    Hier der ganze Artikel.
  • Und bei Neon schreibt Lars Weisbrod:
    „Ruhe. Pause. Keine Empörung mehr. Wir können das am besten, klar. Aber sich jetzt zu empören, das ist nur noch mehr von dem, was nicht funktioniert hat. Und wenn wir jetzt noch mehr und mehr draufkippen, warum sollte es dann plötzlich etwas helfen?“
    Hier der ganze Artikel.

Damit kehre ich zurück zu nachdenklichem Schweigen.

Wir sind Piloten unserer Träume

Lange haben wir nach der richtigen Form für dieses Lied gesucht. Ein Lied über das Reisen, über das Feiern, über Euphorie auf der Bühne und über gute Zeiten mit guten Freunden. Jetzt haben sich Max und Marko einfach in die untergehende Sonne gesetzt und das Ding akustisch eingespielt. Ich habe sie dabei gefilmt.

Danke an Markus und an Matthias von HeadApe Records.

Wälder roden für den Klimaschutz?

Die gute Nachricht: In Europa werden immer mehr Kohlekraftwerke abgeschaltet.

Die nicht so gute Nachricht: Viele dieser Anlagen gehen nach einer kurzen Umbauphase wieder in Betrieb. In den Kesseln landet dann keine Kohle mehr, sondern zu Pelltes gepresstes Holz. Das gilt als nachwachsender Rohstoff, die erzeugte Energie damit als CO2-neutral. Und die Betreiberfirma erhält Subventionen, wegen Klimaschutz und so.

Holzpellets sind an sich eine gute Sache, um Holzabfälle als Brennstoff zu verwerten. Aber wenn du ein Großkraftwerk nach dem nächsten mit dem Zeug betreiben willst, gehen dir irgendwann die Abfälle aus. Was machst du also? Richtig, Bäume fällen.

Acht Millionen Tonnen Holzpellets importierte die EU im Jahr 2014 aus dem Ausland, vor allem aus den USA: Dort klagen Umweltschützer, dass wertvolle Wälder gerodet werden. Damit wir Europäer einen auf Klimaschutz machen können.

Darüber habe ich diese Woche in der SZ geschrieben.

6.45 Uhr, Bad Aibling

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Am 9. Februar 2016 prallten im oberbayerischen Bad Aibling zwei Regionalzüge frontal aufeinander. 12 Menschen starben. Meine Kollegin Lisa Schnell und ich haben mit Opfern, Rettungskräften und Bahnexperten gesprochen und den Unglückstag für die SZ in einem Minutenprotokoll rekonstruiert. Die Geschichte erschien nicht nur als klassischer Zeitungsartikel, sondern auch als Digitalreportage mit Fotos, Videos und Infografiken. Der Beginn des Artikels ist frei lesbar, der ganze Beitrag ist zahlenden Kunden vorbehalten.

Aktualisierung 13. März 2017: Der Beitrag „6.45 Uhr Bad Aibling“ ist in der Kategorie Dokumentation für den Henri-Nannen-Preis 2017 nominiert.

Sieben Tage in Tibet

China-Reiseblog, Teil fünf: Yading

Eine Woche war ich im tibetischen Teil der Provinz Sichuan unterwegs. Das Hochland ist kalt, karg und weit weg von allem. Aber auch sehr schön. Ich bin dort gewandert, geradelt – und war in einer Karaoke-Bar.

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Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Abstecher machen soll. Wangchao, mein Freund vom Emei Shan, sagte: Wenn du Natur und Wandern magst, musst du nach Yading. Aber dorthin zu gelanden, in die tibetischen Gebiete im Westen der Provinz Sichuan, bedeutet zwei volle Tage im Bus nach Daocheng (der Rückweg ist, weil es hauptsächlich bergab geht, in einem langen Tag zu schaffen). In Daocheng, 3700 Meter über dem Meeresspiegel, wird empfohlen, ein oder zwei Tage zu bleiben, zur Gewöhnung an die Höhe. Dann folgt ein weiterer halber Tag ins Yading Nature Reserve. Insgesamt, das war klar, würde mich das Abenteuer mindestens eine Woche kosten. Und ich hatte ja nur vier Wochen in China, eh schon viel zu wenig für dieses riesige Land.

Ich musste dann an meine Neuseeland-Reise denken. Als die vor siebeneinhalb Jahren langsam zu Ende ging, fragte mich Felix, ob wir nicht acht Tage gemeinsam durch den Regenwald wandern wollen. Damals habe ich ja gesagt. Ich bin anschließend ziemlich ins Hudeln gekommen, um rechtzeitig für meinen Rückflug zurück in Wellington zu sein. Aber die gute Woche im Regenwald werde ich nie vergessen.

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Ich fahre also zum Busbahnhof in Chengdu und kaufe eine Fahrkarte nach Daocheng für den nächsten Morgen.
Schon am ersten Tag unterwegs bereue ich die Entscheidung erstmals. Auf vier Stunden halbwegs flüssiger Fahrt folgen fünf Stunden Stillstand. Irgendetwas blockiert vor uns die Straße. Eine endlose Kette von Autos, Lastwägen und Bussen windet sich bewegungslos die kurvige Straße nach oben. Zwar steht mein Bus zufälligerweise genau auf Höhe eines kleinen Dorfs mit Basketballplatz, ein paar Jungs und ich vertreiben uns die Zeit mit Korbwürfen. Nervig ist es trotzdem.

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Lustig wird es, als wir um ein Uhr nachts endlich unser Zwischenziel in Kanding erreichen. Das Hotel ist furchtbar, die Wände sind kahl und schmutzig, das Bad auf dem Flur widerlich. Aber ich teile mir ein Zimmer mit der Kanadierin Hana, die unter hanaonthemap.com lesenswert über ihre Weltreise bloggt, und den beiden Chinesen Gavin und Police (ich kann mir seinen Namen nicht merken und habe ihn irgendwann nur noch nach seinem Beruf genannt). Zum ersten Mal erfahre ich etwas von dem chinesischen Brauch, vor dem Schlafengehen ein warmes Fußbad zu nehmen. Muss man in so einer Situation natürlich sofort ausprobieren. Da sitzen wir also nachts um zwei in einem miesen Hotel am Ende der Welt auf unseren Betten und stecken unsere müden Zehen in verbleichte Plastikschüsseln. Interessante Gesprächsatmosphäre.

Dann noch drei Stunden schlafen, um sechs fährt der Bus weiter. Um neun gibt es an einer Raststätte Reis und Gemüse zum Frühstück. Das hygienische Niveau der Klos sinkt von Halt zu Halt rapide, inzwischen bestehen sie nur noch aus einem stinkenden Loch im Boden. Gegen Mittag halten wir an einem Kontrollpunkt. Ein junger Polizist mit Maschinenpistole und verspiegelter Sonnenbrille betritt den Bus, kontrolliert die Ausweise und Pässe aller Passagiere. Aber immerhin der Verkehr ist heute unser Freund. Ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir nachmittags den Ort Daocheng.

Offiziell ist Daocheng eine Stadt. Ich stelle allerdings schnell fest, dass es hier keine einzige Buchhandlung gibt, was meiner Ansicht nach ein notwendiges Kriterium zur Verleihung des Stadtrechts sein sollte. Sonst ist der Ort aber ganz brauchbar. Die in ganz China beliebten Teigtaschen füllen sie hier mit leckerem Yakfleisch. Die meisten Menschen auf den Straßen sind keine Han-Chinesen, sondern Tibeter, haben lederfarbene Haut, etwas größere Augen und Supergene, mit denen sie die dünne Höhenluft besser vertragen.

Vor ein paar Jahren hat die Kommunistische Partei beschlossen, Daocheng zu einem Tourismusort auszubauen. Daher gibt es hier einen neu gestalteten Platz mit großer Berg-Skulptur und Regionalmuseum. In den umliegenden Straßen stehen ein paar schicke Hotels, die häufig ein “Grand” im Namen im tragen.

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So richtig geht die Strategie bisher nicht auf. Viele der Gebäude wurden nie fertig gebaut, Touristen sind auf den Straßen wenige zu sehen. Stattdessen streunt ein fettes Schwein umher. Ein alter Mann knattert auf einem uralten Traktor vorbei, den Hänger mit Brennholz beladen, eine pechschwarze Rußwolke hinter sich herziehend.

Am nächsten Tag leihe ich mir mit Hana Fahrräder aus und wir erkunden die Hügel in der Umgebung. Beim Bergauffahren bilde ich mir ein, die Höhe zu spüren. Oder kann die Kondition von einem Sommer Isartraining so schnell wieder weg sein?
Nachmittags fahren wir zu viert weiter ins Dorf Riwa, das Tor zum Yading Naturreservat. Unser Fahrer lädt noch zwei weitere Passagiere ein. Wir sitzen zu siebt im Sechssitzer, als ein entgegenkommendes Auto Zeichen gibt: Eine Polizeistreife sei unterwegs. Schnell biegen wir von der Straße ab, parken hinter einer Mauer, bis wir im Rückspiegel die Polizei vorbei fahren sehen. Dann geht die Reise weiter, unterbrochen nur noch von den einen oder anderen Yakherde auf der Fahrbahn.

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In den Naturpark selbst kommt man nur per Bus. Der fährt heute nicht mehr, also beziehen wir Quartier in Riwa. Nach einem tibetischen Abendessen führt uns Police in eine Karaoke-Bar. Wir beziehen zu viert ein Separée. Auf dem Tisch stehen Bier und Popcorn, Melonenschnitze und Cocktail-Tomaten. Der Computer enthält neben allen wichtigen Hits der chinesischen und amerikanischen Popgeschichte auch Songs von Rammstein und Sarah Connor und “Dragosteo din tei” von O-Zone. Wir haben großen Spaß…

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Im Morgengrauen schleicht unser Bus die Passstraße nach oben. Die Aussicht auf die bestimmt ganz atemberaubenden Berge bleibt hinter dichtem Nebel versteckt. Es beginnt zu schneien. Frierend steige ich im Dorf Yading aus, schleppe mich von Haus zu Haus, auf der Suche nach einer Unterkunft. Wir quartieren uns in einem Haus aus groben, unverputzten Steinen ein. Es gibt keine Heizung.

Die nächsten Tage verbringe ich abwechselnd unter drei Decken im Bett und draußen in einer der schönsten Landschaften, die ich je gesehen habe. Mich erstaunt vor allem, wie viel hier oben auf 4000 Metern noch wächst. Ab und an ziehen die Wolken auf und geben den Blick auf die umliegenden Sechstausender frei.

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Man könnte hier im Yading zu tagelangen Trekkingtouren durch die Wildnis aufbrechen. Leider fehlen mir dazu Ausrüstung, Zeit und auch die nötige Fitness. Ich merke, wie schnell mir hier oben die Luft ausgeht. Ich merke, wie mir der plötzliche Wintereinbruch zusetzt. Und ich merke, dass mein Knie nicht besonders gern tagelang in Bussen eingeklemmt ist. Also kann ich nur einen kleinen, ersten Eindruck von der Schönheit der tibetischen Berge mitnehmen. Ich werde wiederkommen müssen.

Am letzten Abend nimmt mich der Wirt meiner Herberge mit zu einem Besuch bei einer tibetischen Familie. In einem schummerigen, von einer nackt an der Decke baumelnden Glühbirne beleuchteten Raum kauern sie sich um einen Holzofen, essen Reis aus kleinen Schüsselchen und backen Hirsefladen über dem Feuer. Kein Tisch steht im Zimmer, zum Sitzen nur ein paar mickrige Schemel. Kaum zu glauben, dass ich immer noch in China bin. Dem Land der Megacities mit den höchsten Wolkenkratzern und den größten Shoppingmalls. Das Land, das manchen Statistiken zufolge bereits die stärkste Volkswirtschaft des Planeten ist. Das ist wohl auch einer der Gründe, warum Ausländern eine Weiterreise noch tiefer in die tibetischen Gebiete verboten ist: Die erschreckende Armut soll der Welt verborgen bleiben.

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Nach einer knappen Woche im kargen, kalten Hochgebirge sehne ich mich, kaum zu glauben, tatsächlich etwas nach dem Trubel einer chinesischen Großstadt. Kurz überlege ich, zurück nach Chengdu zu fliegen. Allerdings sind über eine Woche alle Flüge ausgebucht. Ist wohl richtig so. Was man anfängt, sollte man auch auf ehrliche Art zu Ende bringen. Also ab zum Busbahnhof.

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Heiter bis tödlich

Das abenteuerliche Leben des Mathematikers Richardson

Illustration: François Schuiten

Illustration: François Schuiten

Lewis Fry Richardson meldete sich freiwillig als Sanitäter für eine der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkrieges. In den Pausen saß er auf einem Heuballen hinter der Front und berechnete die erste Wettervorhersage der Geschichte. Seine Prognose war grundfalsch und trotzdem revolutionär. Später versuchte Richardson, mit Hilfe von Gleichungen den Zweiten Weltkrieg zu verhindern. Sein Lebenswerk zeigt, wie vielfältig sich die Werkzeuge der Mathematik einsetzen lassen.

In der SZ-Ausgabe vom langen Einheitswochenende erzähle ich Richardsons Geschichte. Hier ist der Text online lesbar.

Bei der Recherche haben mich viele Wissenschaftler unterstützt, die Richardsons Leben und Werk untersucht haben. Danke an Johannes Lenhard von der Uni Bielefeld, Neil Johnson von der University of Florida und insbesondere Peter Lynch vom University College Dublin. Hilfreich waren außerdem die Bücher von Konrad Balzer und Oliver Ashford. Danke auch an Astrid, Christian und Georg.

Bergtour mit Buddha

China-Reiseblog, Teil vier: Emei Shan

Der Emei Shan ist einer der vier heiligen Berge des Buddhismus in China. Ich war dort zwei Tage unterwegs, habe nicht nur den Gipfel auf 3079 Metern erreicht, sondern auch zwei neue Freunde gefunden. Travis und Wangchao sind die ersten Chinesen, die ich näher kennen gelernt habe.

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Der Tag beginnt mit sehr frühem Aufstehen und ein paar Stunden im Bus. Gegen 10 Uhr stehe ich am Fuß des Emei Shan, etwa 150 Kilometer südwestlich von Chengdu in der Provinz Sichuan. Die ersten Kilometer gehe ich vor allem an Imbissbuden, Souvenirständen und sehr vielen Touristen vorbei.

Dann erreiche ich die “Monkey Wilderness Zone”. Das ist ein Abschnitt des Weges, wo besonders häufig Makaken aus dem Wald kommen – in der Hoffnung auf Futter aus Touri-Händen. Ein kleines Äffchen sitzt auf dem Geländer am Wegrand und schaut mich an. Ich gehe in die Hocke, schaue zurück und will ein Foto machen. Plötzlich springt mir ein ausgewachsener Makake von hinten in den Nacken und klammert sich fest. Ich kreische und drehe mich hin- und her, bis er endlich abspringt. Etwa zehn Chinesen lachen mich aus. Später lese ich dann auch die Sicherheitshinweise: Man solle keinen längeren Blickkontakt mit den Affen aufnehmen. Und wenn einer angreift, keinesfalls schreien…

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Viele Besucher scheinen vor allem wegen der Affen hierher zu kommen. Nach Passieren der Monkey Zone wird es auf dem Weg jedenfalls wesentlich ruhiger. Und steiler. Technisch ist der Emei Shan keine Herausforderung, der Pfad zum Gipfel ist komplett mit steinernen Stufen und Geländern befestigt. Aber die Treppen sind verdammt steil. Und mit etwa 40 Kilometern ist der Weg ziemlich weit.

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Inzwischen bin ich meistens allein auf dem Weg, der in Serpentinen in die steilen, von dichtem Dschungel bewachsenen Hänge gebaut ist. Ohne Machete ließen sich die angelegten Wege kaum verlassen. Es ist warm und feucht. Manchmal endet die Sicht nach zwanzig Metern im Nebel. Gelegentlich komme ich an einem Tempel vorbei. Die meist rot gestrichenen Gemäuer beherbergen jeweils einen Schrein mit goldener Buddha-Figur. Außenrum liegen einfache Gästezimmer. Dort können Wanderer wie ich auf dem Weg zum Gipfel übernachten, manche bleiben auch ein paar Tage und meditieren.

Sehr beliebt bei chinesischen Wanderern: Red Bull

Sehr beliebt bei chinesischen Wanderern: Red Bull

Gegen fünf Uhr am Nachmittag erreiche ich den Yuxian-Tempel. Da ich nicht weiß, wie weit es zur nächsten Schlafgelegenheit ist, bleibe ich hier. Die Wirtin führt mich ins Matratzenlager. Eine kahle Glühbirne an der Decke beleuchtet den finsteren Raum. Es zieht durch ein notdürftig zugenageltes Loch im Fenster. Ich lege mich auf ein Bett mit kitschigem Rosenbezug und döse vor mich hin, bis die Wirtin zum Abendessen ruft.

Im Speisesaal sitzen auf schmalen Holzbänken zwei Chinesen Mitte zwanzig. Zu essen bekommen wir alle drei das gleiche: Reis mit Aubergine und Spinat. Im direkten Vergleich muss ich einsehen, das meine Fertigkeiten im Umgang mit Essstäbchen noch verbesserungswürdig sind.

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Nach dem Essen machen sich die anderen wieder auf den Weg. Sie wollen noch zwei Stunden weiter gehen, dann käme ein weiterer Tempel. Ich ärgere mich, meine Übernachtung schon bezahlt zu haben – die zwei Stunden würden den weiten Weg zum Gipfel am nächsten Tag deutlich verkürzen. Doch dann fängt es an zu regnen, und bald darauf stehen die beiden Jungs wieder vor der Tür. Wir verabreden uns für den nächsten Morgen.

Um sieben Uhr bekommen wir Nudeln zum Frühstück, dann gehen wir los. Es geht weiter auf steilen Treppen Richtung Gipfel.
Unterwegs haben wir Zeit, uns etwas besser kennen zu lernen. Meine beiden Wanderkumpane könnten unterschiedlicher kaum sein.

Travis – was natürlich sein english name ist, den sich viele Chinesen frei aussuchen, weil Leute aus dem Westen die chinesischen Namen eh immer falsch aussprechen – Travis also hat traditionelle chinesische Kultur studiert; er macht nach dem Frühstück ein paar Kung-Fu-Übungen und behandelt die schmerzenden Waden des Kochs mit Akupunktur. Beim Wandern hört er auf dem iPhone buddhistische Weisheiten. Wenn wir an einem Tempel vorbei kommen, wirft er sich vor der Buddha-Statue mehrmals auf den Boden. Überhaupt wirkt Travis oft wie ein Mönch. Oder zumindest jemand, der viel Zeit mit Meditieren verbringt. In seinen braunen Augen liegt immer ein sehr klarer, fokussierter Blick. Er spricht leise und langsam bewegt sich kontrolliert und elegant.

Sein Freund Wangchao ist das exakte Gegenteil. Ein Zappelphilipp, der kaum still halten kann, viel lacht und viel redet. Oft fuchtelt er mit zwei Handys gleichzeitig herum. Er merkt dann selbst, dass er die nicht beide bedienen kann, steckt eines in die Tasche, zieht es aber kurz darauf wieder raus. Chao trägt Brille, viele Pickel und verwaschene Jeans. Nach einer Wanderpause rennt er wie wild die Treppen hoch. Nach kurzer Zeit geht im die Luft aus, was ihn aber nicht vom Reden abhält. Er schimpft über seinen schweren Rucksack, trägt ihn aber oft nur auf einer Schulter, lässt den Hüftgurt offen. Beruflich ist Chao Bauingenieur und baut Windkraftanlagen.

Das ist vielleicht ein bisschen viel rein interpretiert, aber man könnte sagen, Travis und Chao stehen stellvertretend für das alte und das neue China. Travis verkörpert Weisheit und Tradition, er wahrt stets das Gleichgewicht von Yin und Yang. Chao dagegen steht für das moderne China: dynamisch, hektisch und bauwütig, immer kurz vor dem Kollaps.

Gegen Mittag erreichen wir einen großen Tempel, zu dem auch eine Straße führt. Es ist vorbei mit der Ruhe, hier gießt sich eine Busladung nach der nächsten über den Berg. Das letzte Stück zum Gipfel lässt sich von hier aus mit der Seilbahn zurücklegen. Travis und Chao haben es plötzlich eilig und nehmen die Bahn. Ich kämpfe mir nochmal eine gute Stunde meinen Weg durch die Massen nach oben. Dann stehe ich das erste Mal auf über dreitausend Metern.

Der Gipfel des Emei Shan ist komplett zugebaut mit Seilbahnstation, Tempeln, Aussichtsterrassen und einer riesigen Buddha-Statue. Überall wuseln Leute rum und manche wollen auch noch ein Selfie mit mir.

In einer kleinen Ecke mit nacktem Felsen treffe ich die Jungs wieder. Schönes Gefühl, es zusammen hier hoch geschafft zu haben.

Weil wir alle am gleichen Tag noch zurück nach Chengdu müssen, nehmen wir nach unten den Bus. Abends schickt mir Chao auf WeChat den Standort eines Lokals. Als ich dort ankomme, sitzen die beiden auf Plastikhockern auf der Straße, um sie herum sechs Freunde. Auf dem Tisch steht ein Kasten Bier. Wir essen Grillspieße mit Schwein, Hühnchenklauen, Fisch, Lotuswurzeln und allerhand Gemüse. Zwischen dem zweiten und dritten Bier setzt Travis sechs Akupunktur-Nadeln in mein lädiertes Bergsteigerknie.

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Um Mitternacht gehe ich müde und glücklich zum Hostel. Es ist eine warme Nacht. Die Nacht des chinesischen Mondfests.

Der Bahnhof am Ende der Welt

Teil 3 meines Reiseblogs aus China

Wenn dein Zug in eineinhalb Stunden fährt, du aber zwei Stunden vom Bahnhof entfernt bist, ergibt das: die Geschichte einer abenteuerlichen Taxifahrt.

Ich mache mich also am Hostel in Xi’an fertig für den Weg zum Bahnhof. Ich verabschiede mich von den unglaublich netten Leuten an der Rezeption und frage nochmal zur Sicherheit, ob Xi’annan wirklich Xi’an West bedeutet. Nein, erfahre ich: Das sei Xi’an Süd. Und das macht einen Unterschied. Der Westbahnhof liegt am Rand der Altstadt; vom Hostel aus ein längerer Spaziergang oder ein paar Stationen mit dem Bus. Der Südbahnhof dagegen liegt weit außerhalb der Stadt. Zwei Stunden mit dem Bus. Mein Zug fährt in eineinhalb Stunden.

Der Hostelmanager nimmt ein Blatt Papier und entwirft einen Notfallplan. Ich solle zur U-Bahn gehen und zu jener Station fahren; er malt mir den Namen der Haltestelle auf. Dort müsse ich ein Taxi nehmen. Er malt den Namen des Bahnhofs, das solle ich dem Fahrer zeigen. Wenn ich sofort los ginge, könne ich es mit Glück schaffen.

Ich renne zur U-Bahn. Am Fahrkartenautomat muss ich ein Ticket zur gewünschten Zielhaltestelle lösen. Leider kann ich keine Ähnlichkeiten zwischen dem Gekrakel auf meinem Zettel und den Zeichen auf dem Bildschirm erkennen. Hektisch winke ich einen Chinesen heran. Ich scheine so verzweifelt zu wirken, er kommt sofort im Laufschritt. Ich zeige ihm den Zettel. Er drückt die passende Taste. Ich schiebe einen 1¥-Schein nach dem nächsten in den Schlitz, alle kommen zurück. Ich nehme einen Zehner. Das klappt: Der Automat spuckt eine Handvoll Münzen und meine Fahrkarte aus. Ich renne die Treppen runter und springe gerade noch in die U-Bahn, bevor hinter mir die Türen zu gehen.

Nervös stehe ich mit zwei hastig gepackten Rucksäcken in der Bahn. Mir wird besonders schmerzlich bewusst, wie weit die Haltestellen in China auseinander liegen. Ich nehme mir fest vor, ganz cool aus dem U-Bahnhof zu treten. Es wäre sicher ungünstig für den Fahrpreis, wenn die Taxifahrer bemerken, wie eilig ich es habe.

Mein Vorsatz scheitert. Wild mit meinem Zettel wedelnd stehe ich am Taxistand. Die zwei gemütlich rauchenden Fahrer scheinen keinen Bock auf den Auftrag zu haben, diskutieren erstmal aus, wer ihn übernehmen muss. Der Bahnhof muss wirklich am Ende der Welt liegen.

Der Verlierer der Debatte, ein kompakter Kerl im blau-weiß gestreiften Poloshirt, brüllt mich an, hält mir seine Hand mit nach oben gestrecktem Zeige- und Ringfinger entgegen. Zwei Theorien habe ich spontan, was das heißen könnte: 200 Yuan, etwa 30 Euro. Oder den doppelten Fahrpneh vermutet, von dort draußen leer zurück zu fahren. Beides wäre für mich okay, ich nicke. Er brüllt weiter. Ich zeige ihm einen Hunderter. Er brüllt etwas leiser und fährt endlich los.

Noch 52 Minuten bis zur Abfahrt des Zuges.

Nach ein paar hundert Metern zeige ich auf das ausgeschaltete Taxometer. Basiswissen aus dem Lonely Planet: immer auf ein laufendes Taxometer bestehen. Er fängt wieder an zu brüllen, zeigt die Zwei. Okay, denke ich, dann stimmt wohl die 200 Yuan-Theorie. Eine Fahrt zum frei ausgehandelten Pauschalpreis. Lonely Planet am Arsch.

Fußgängern, Mofas und was sonst so auf der Straße ist umkurvend, heizen wir durch die Nacht. Nach zwei Kilometern macht der nun schweigende Fahrer das Licht an. Vor uns tauchen zwei Busse auf, der hintere versucht zu überholen, zieht immer wieder auf die Gegenspur und schert kurz vor dem Crash wieder ein. Wir versuchen, die beiden Busse zu überholen.

Draußen wird sie Straßenbeleuchtung weniger, hört dann ganz auf. In den Werkstätten am Straßenrand sprühen die Funken der Schweißgeräte. Der eine Bus biegt ab. Kurz darauf überholen wir unfallfrei den zweiten. Die warme Nachtluft rauscht durch vier offene Fenster ins Auto.

Ich schreibe den China-Kennern in meinem Adressbuch, was denn ein üblicher Preis für eine halbstündige Taxifahrt sei. Inzwischen haben wir die Stadt verlassen, ballern über eine stockdunkle Landstraße, links und rechts Bäume, vielleicht Birken. Ich überlege kurz, meine Frage um meinen aktuellen Standort zu ergänzen, um sowas wie „Wenn ich mich in einer Stunde nicht melde, ruf bitte die Polizei an.“ Ich entscheide mich dagegen.

Durchs Fenster kommt jetzt rauchige Luft, draußen liegt ein gelblicher Dunst auf der Nachtluft. Wir fahren offenbar durch’s Industriegebiet. Noch 34 Minuten bis Abfahrt des Zuges. Könnte klappen. In Deutschland könnte man jetzt noch auf eine Verspätung des Zuges hoffen. In China aber, so steht es im Lonely Planet, führen die Züge fast immer pünktlich.

Mein Fahrer hat die interessante Angewohnheit, sich vor vollig uneinsehbaren Linkskurven vorsichtshalber immer am linken Straßenrand zu halten. Nach ein, zwei dieser Kamikazemanöver sind wir plötzlich wieder in einer Siedlung, biegen dort noch dreimal ab, dann bleibt das Taxi vor dem Bahnhof stehen. Ich gehe inzwischen fest von 200 Yuan aus, probiere es aber erstmal mit einem Hunderter. Zu meiner Überraschung nimmt er den und zählt sogar noch Wechselgeld ab. 71 Yuan nimmt er für die Fahrt, was mir erstens seltsam krumm erscheint fur einen willkürlich festgesetzten Preis. Was zweitens aber auch weniger als zehn Euro sind.

Noch 26 Minuten bis zur Abfahrt. Das ist nicht gerade großzügig; ich muss noch durch die Passkontrolle, die Gepäckkontrolle und den Check-in am Bahnsteig; aber es sollte reichen.

Am Eingang zum Bahnhof herrscht ein Riesengedränge. Ich schiebe mich nach vorne, stelle mich in die Schlange, was in China aber immer eher eine Traube ist. Dort treffe ich auf eine Italienerin. Sie sagt mir, unser Zug hätte vierzig Minuten Verspätung. Lonely Planet am Arsch.

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Entlang der Großen Mauer

Teil zwei meines Reiseblogs aus China

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Um fünf Uhr morgens klingelt mein Wecker. Leise schleiche ich aus dem Zimmer, in dem noch zwei Chinesen schnarchen. Am Vorabend habe ich zwei Liter Leitungswasser abgekocht, Kekse und Snickers gekauft. Das im Rucksack, trete ich auf die schmale Gasse, in die gerade das erste Licht des Tages fällt.

Auf der Hauptstraße ist schon einiges los. Vor allem Mofas und dreirädrige, als Kleintransporter dienende Motorräder sind unterwegs. Ein Straßenkehrer mit schmutzigem, zerfurchtem Gesicht fegt den Fußweg. Zuerst klappere ich ein paar Banken ab, bis ein Geldautomat meine Visa-Karte akzeptiert. Dann gehe ich zur U-Bahn und fahre zum Busbahnhof. Bus 980 fährt knapp zwei Stunden, die ich großteils verdöse, über leere Autobahnen.

In Miyún steige ich auf einer staubigen Seitenstraße aus. Da die richtige Buslinie im Reiseführer stand und Miyún als Endhaltestelle kaum zu verfehlen war, lief die Wegfindung bisher problemlos. Jetzt muss ich irgendwie meinen Anschlussbus suchen. Anders als in Peking sehe ich hier kein einziges englischsprachiges Schild.

Erstmal umringen mich allerdings ein Dutzend Leute, allesamt so staubig wie die Straße. Manche wollen einfach nur Hallo sagen; hier kommt wohl nicht oft ein Europäer vorbei. Die meisten wollen dann aber doch irgendetwas verkaufen, zum Beispiel eine Taxifahrt in ihrer alten Karre. Dem am wenigsten Aufdringlichen kaufe ich Weintrauben und einen weiteren Liter Wasser ab. Die Sonne brennt schon morgens um acht gnadenlos vom wolkenlosen Himmel.

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Auf meinem Handy habe ich Nummer und Zielort meines nächsten Busses aufgerufen; ich halte es den wenigen Leuten, die kein geschäftliches Interesse an mir zu haben scheinen, unter die Augen. Auch wenn sich die angezeigten Richtungen gelegentlich unterscheiden, finde ich schließlich die Haltestelle. Unterwegs muss ich weitere Händler und Taxifahrer abschütteln und eine sechsspurige, stark befahrene Straße ohne Ampel überqueren.

Der Bus kommt nach einer halben Stunde, die ich mit Hand-und-Fuß-Gesprächen mit den Mitwartenden verbringe. Schon in Peking habe ich nur wenige Westler getroffen; dort gab es aber jede Menge innerchinesischer Touristen. Hier draußen scheine ich als weit und breit Einziger zum bloßen Vergnügen aus reiner Neugier durch die Gegend zu streunen.

Die zweite Busfahrt fällt deutlich holpriger aus als die erste. Wir fahren jetzt über kurvige, schlecht asphaltierte Straßen durch hügelige, von dichtem Gestrüpp bewachsene Landschaft. Sobald irgendwo zwei oder drei Häuser stehen, halten wir an. Auf Wink eines alten Mannes, dem ich zuvor meinen Zielort Gubeikou genannt habe, steige ich nach einer guten Stunde aus.

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Ich stehe auf einer sandigen Piste. Am rechten Straßenrand steht ein kleines Restaurant. Die Tische sind alle sorgfältig gedeckt, aber niemand sitzt darin. Ein Stück weiter vorne liegt ein kleiner Marktplatz, wo vor allem Obst, Gemüse und frisch gebackene Pfannkuchen verkauft werden.

Links der Straße liegt ein kleiner Park. Zwei Frauen knien im Gras und rösten auf glühenden Kohlen ein paar Maiskolben. Auf einer flachen, weißen Steinbrücke überquere ich einen breiten, braunen Fluss. Dahinter sehe ich eine dicht bewachsene Hügelkette und darauf die Überreste der Großen Chinesischen Mauer.

Die nächsten Stunden werde ich diese Mauer entlang gehen. Ein schmaler Pfad führt manchmal neben dem Verteidigungswall, manchmal oben auf selbigem. Manche Mauerabschnitte, vor allem die nahe an Peking gelegenen, sind inzwischen renoviert und ein viel besuchtes Ausflugsziel. Das Stück hier bei Gubeikou dagegen ist nicht renoviert und an vielen Stellen ziemlich verfallen. Dafür werde ich den ganzen Tag kaum einen anderen Menschen treffen.

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Nach vier Tagen in Peking ist das eine Wohltat. Vor meiner Abreise dachte ich, Verständigungsschwierigkeiten, ungewohntes Essen oder verschmutzte Luft würden die größten Herausforderungen in China werden. Tatsächlich ist es der allgegenwärtige Lärm, der mich am meisten Kraft kostet.

Die Chinesen haben da offenbar ein anderes Toleranzlevel. Sie quatschen, rufen, lachen, schimpfen, hupen pausenlos. In den Zügen ist es keine Seltenheit, dass jemand einen Film auf seinem iPad ohne Kopfhörer anschaut. Die Handys klingeln lauter als in Europa. Der Krach ist ein ständiger Überbietungskampf und wird selbst einem Punkrock-Trommler schnell zu viel.

Umso entspannender also das Wandern entlang der Mauer. An vielen Stellen fehlt ein großer Teil des Gemäuers. Mao selbst soll seine Untertanen dazu aufgerufen haben, die Steine als Baumaterial zu entwenden. An gut erhaltenen Stellen ist der Wall aber locker vier Meter hoch. Alle paar hundert Meter stehen Türme, die etwa auf das doppelte kommen. Ihr Inneres bietet den einzigen Schutz vor der Sonne, so dass ich hier immer wieder eine kurze Pause mache.

Nur in einen Turm traue ich mich nicht hinein, er wird von einer Herde Ziegen bewacht. Sie starren mich an, recken ihre Hörner nach vorne und blöcken. Ich suche einen Weg außenrum.

Gegen die Mongolen hat die chinesische Mauer übrigens nicht standgehalten. “Die Stärke einer Mauer hängt vom Mut derer ab, die sie bewachen”, soll Dschingis Khan gesagt haben.

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Die heutigen Herrscher Chinas haben ihre eigene große Mauer gebaut: Das chinesische System der Internet-Zensur trägt den Spitznamen “The Great Firewall”. Es soll die Chinesen von als bedrohlich erachteten ausländischen Informationen schützen. Dienste wie Facebook, Twitter und alle Google-Angebote sind von China aus nicht zugänglich, ebenso westliche Medien wie die New York Times oder BBC.

Während die alte chinesische Mauer von äußeren Feinden überwunden wurde, sind es heute die Chinesen selbst, die einen Durchschlupf suchen. Die jungen Leute zumindest in den großen Städten nutzen vor allem Facebook ziemlich selbstverständlich. Möglich macht das ein VPN-Zugang, der den Datenverkehr über einen Server etwa in Hongkong, Taiwan oder Japan umleitet. Das ist etwas umständlich und es surft sich damit langsamer, aber es funktioniert.

Der wichtigste Internetdienst für die Chinesen ist aber ohnehin das aus dem eigenen Land stammende WeChat. Die App lässt sich am ehesten mit WhatsApp vergleichen, enthält aber auch einen Facebook-ähnlichen Kanal für Status-Updates und Fotos und eine Bezahlfunktion. Wenn ich irgendwo einen Chinesen mit Smartphone sehe, ist darauf fast immer WeChat geöffnet.

Am Ende meiner idyllischen Wanderung werde ich auf brutale Art zurück in die chinesischen Realität katapultiert. Der Bus von Gubeikou zurück nach Miyún ist bis auf den letzten Stehplatz besetzt. Die Leute quasseln ohne Pause. Der Fahrer hupt vor jeder Kurve. Bei jedem Ein- und Aussteigen piepst ein Gerät, das den Fahrpreis von einer Chipkarte abbucht.

Mir gegenüber sitzt ein Schuljunge, der sich verzweifelt dem Krach zu entziehen versucht. Kopfhörer in den Ohren, will er auf seinem Handy ein Buch lesen (nur ein einziges Mal habe ich bisher einen Chinesen mit einem gedruckten Buch gesehen. Das war ein alter Mann, der sich in Pekings Univiertel mit einem Hocker auf den Fußweg gesetzt hat, um zu lesen. Einen E-Reader habe ich gar nicht gesehen. Aber recht viele Leute lesen auf dem Handy). Leider hat der Schulbub einen hyperaktiven Klassenkameraden, dessen Augen keine Sekunde still stehen und der ständig an dem Lesenden herumzupft, um ihm irgendetwas mitzuteilen. Nicht so einfach, hier mal ein paar Minuten Ruhe zu finden.

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Mao für den Kühlschrank

Teil eins meines Reiseblogs aus China

Pekings Ausläufer von oben: Stadtplanung wie bei SimCity

Am Ende müssen wir beide lachen, die Wächterin und ich.

Zum Alltag in Peking gehören ständige Sicherheitskontrollen. Nicht nur am Flughafen, auch an den U-Bahnhöfen, am Eingang zu wichtigen Gebäuden und ganz besonders streng am zentralen Platz Tian’anmen, dem Platz des Himmlischen Friedens: Überall stehen Wachleute und Metallscanner.
Am Südbahnhof muss ich nicht nur das Standardprogramm mitmachen, also durch den Ganzkörperscanner gehen, mein Gepäck in einen Blechkasten schieben und mich von einer Wächterin abtasten lassen. Hier soll ich mich zusätzlich auf ein Metallpodest stellen, das wohl meine Schuhe durchleuchtet. Dann bedeut mir die Wachfrau, meine Mütze anzunehmen. Hutschwenkend dort oben stehend, komme ich mir vor wie ein Gaukler in der Fußgängerzone, nur ohne Münzbecher. Zumal ich die meisten Chinesen schon ohne Podest um eineinhalb Köpfe überrage. Ich fange also an zu lachen. Die Dame von der Sicherheit schaut mich irritiert an. Dann muss sie mitlachen.

Die Verständigung mit den Chinesen ist ein einziges Abenteuer. Immer wieder sprechen mich Fremde an, offenbar aus reiner Freude, einen Ausländer zu treffen. Ich sage dann Ni hao (你好). Das bedeutet Hallo und ist das einzige chinesische Wort, dessen Aussprache ich treffsicher so hinbekomme, dass mein Gegenüber mich versteht. Xièxiè (谢谢, danke) klappt schon nicht immer. Nach einem gegenseitigen Hallo reden die Chinesen meist in ihrer Sprache auf mich ein, worauf ich mit den Schultern zucke und entschuldigend lächle. Manche lächeln zurück, nicken und verstummen. Viele reden einfach weiter; ihnen scheint unvorstellbar, dass ich kein Chinesisch verstehe.

Junge Chinesen können gelegentlich ein paar Worte Englisch. Das beste hatte bisher der Portier des Intercontinental-Hotels. Für ein wirkliches Gespräch reicht es aber praktisch nie. Selbst die eigene Sprache können die meisten Chinesen nur lesen, wenn sie mit ihren Schriftzeichen geschrieben ist, nicht aber in der Umschrift in lateinischen Buchstaben. Wenn ich jemandem nach dem Weg fragen muss, halte ich ihnen meistens die entsprechenden Schriftzeichen auf meinem Telefon unter die Nase. Meistens fühlte ich mich in Peking etwas wie ein Fremdkörper.

Trotz aller Verständigungsschwierigkeiten sind die Menschen ungeheuer hilfsbereit. Sherry beispielsweise, neben der ich im Flugzeug saß. Sie kam gerade vom Urlaub in Barcelona zurück. Wie alle Chinesen, die mal mit dem Westen zu tun hatten, hat sie sich einen amerikanischen Namen zugelegt. Wir haben nur ein paar Worte gewechselt. Trotzdem gab sie mir bei der Landung ihre Handynummer. Falls ich in Peking mal Hilfe brauche.

Oder Gerrick, mit dem ich eine Nacht das Zimmer teilte. Er kommt aus dem Umland von Peking und war für einen Uni-Aufnahmetest in der Stadt. Abends bei einer Limo habe ich ihn nach seinen Lieblingsorten hier gefragt. Dann bin ich bald ins Bett. Jetlag.

Beim Aufstehen am nächsten Morgen sah ihn mit Papier und Stift in der einen, Handy mit Übersetzungsapp in der anderen Hand. Als ich abends nach Hause kam war Derrick abgereist. Auf meinem Bett lagen zwei Zettel, komplett voll geschrieben mit Empfehlungen für Beijing und anderen Orten, die ich in China besuchen solle.

Genauso abenteuerlich wie die Verständigung ist der Straßenverkehr. Prinzipiell ist die Infrastruktur in Beijing vorbildlich, an den großen Straßen gibt es fast überall Fußwege und Radspuren, die sogar mit Gittern vor der Fahrbahn geschützt sind. Nur blockiert den Fußweg immer wieder irgendwas. Mal steht mittendrin ein Baum, mal hat ein Modegeschäft seine Werkstatt auf den Bürgersteig ausgelagert, mal irgendjemand sein Auto einfach quer abgestellt.

Also weiche ich auf den Radweg aus. Der wird hier von quasi allen Fahrzeugen benutzt, die weniger als vier Räder haben. Da fahren also nicht nur Fahrräder. Sondern auch Mofas, Mopeds, Rikschas und dreirädrige Kleintransporter mit offener Ladefläche. Viele davon haben Elektroantrieb; man hört sie kaum kommen und muss plötzlich zur Seite springen. Die Piloten dieser Gefährte fühlen sich auch nicht an rote Ampeln gebunden. Und nachts lassen sie ihr Licht meistens aus. Wer abbiegt, wartet übrigens nicht bis die Fußgänger über die Straße sind, sondern schiebt sich irgendwie dazwischen, das machen auch große Limousinen und Busse.

Falls ihr mal nach China kommen solltet: Schaut euch gut an, wie das hier funktioniert, und passt euch an die etwas anderen Regeln an. Wenn euch am ersten Tag keiner überfahren hat, kommt ihr schon irgendwie durch.
Super angenehm ist dagegen U-Bahn-Fahren. Es gibt ungefähr 15 Linien, die Züge fahren oft und schnell, sie sind modern, Schilder und Durchsagen sind durchgängig zweisprachig. Nur Sitzplatz bekommt man meistens keinen. Und Freundschaften knüpft man in der U-Bahn auch eher nicht, denn hier starren die Chinesen noch konsequenter in ihr Smartphone als sonst.

Ich meiner knappen Woche in Peking erlebe ich drei verschiedene Seiten der Stadt: das historische, das alte und das neue Peking.

Das Tor des Himmlischen Friedens, Eingang zur Verbotenen Stadt

Die historischen Reste aus der Kaiserzeit werden vor allem in der Verbotenen Stadt als riesiges Freiluftmuseum erhalten. Wäre eigentlich super schön dort, gäbe es nicht gar so viele Chinesen und würden die das nicht alle auch sehen wollen. Tausende Touristen schieben sich hier täglich durch.

Ich wollte mich nach meinem Besuch im nördlich angrenzenden Jingshan Park von den Massen erholen. Chinesische Parks sind allerdings meistens nicht dafür angelegt, dass man sich in einer stillen Ecke unter einen Baum legt. Die Grünflächen sind eingezäunt, man hat bitteschön auf den Wegen zu bleiben. Wo man natürlich nie allein ist. Immerhin habe ich vom Hügel in der Mitte einen tollen Blick über die Stadt. Dort oben steht ein Tempel mit einer Buddhastatue, vor der sich die Leute hingebungsvoll niederknien. Der Souvenirstand verkauft für 10 ¥ Kühlschrank-Magnete mit Maos Kopf. Es gibt viele Götter in China.

Der Innenhof meines Hutongs

Zweitens das traditionelle Peking der Hutongs, einstöckige Wohnhäuser mit Innenhof aus meist unverputztem Ziegel, zur Straße raus geht oft ein kleiner Laden. Hier rauschen knatternde Sofas Mofas durch enge Gassen, werden Eier und Mangos auf der Straße verkauft und spielen die Leute abends auf dem Bürgersteig Karten. Ich wohne in einem solchen Hutong, glücklicherweise in einem renoviertem mit Heizung, Klimaanlage und fließend Wasser. In vielen Häusern fehlt das alles. Daher wissen viele Bewohner, die für Neubauprojekte aus den Hutongs vertrieben werden, auch nicht genau wie sie das finden sollen. Einerseits verlieren sie den Ort, der für Generationen das Zuhause der Familie war. Andererseits wird ihnen im Tausch meist ein Appartement in einem Neubau angeboten.

Diese Neubauten gehören zum dritten Peking: dem der verglasten Stallbetontürme, Adidas-Shops und SUVs. Daran ist eigentlich nichts chinesisch, da wird nur das kopiert, was im Westen schon nicht wirklich cool ist. Nur dass das Tempo der Entwicklung hier so viel rasanter ist.

In den drei Pekings trifft man völlig verschiedene Menschen. Der Kaiserkram ist für Touristen, 99% aus anderen Teilen Chinas, 1% Ausländer. Die Hutong-Bevölkerung ist arm, was man an alten, schmutzigen Klamotten erkennt und an ihrer dunklen Haut; sie verbringen den Tag großteils auf der Straße. Die Wohlhabenden in den Neubauvierteln dagegen tragen Markenklamotten am Körper und Smartphones in der Hand; ihre Haut ist dem chinesischen Schönheitsideal entsprechend hell und sauber. Auch die in Peking lebenden Ausländer, etwa Diplomaten, Journalisten und Mitarbeiter westlicher Firmen, leben in diesen Vierteln – häufig in eingezäunten, von der Volksarmee bewachten Wohnvierteln, wo Chinesen nur auf Einladung reinkommen.

Der CCTV-Tower, streng abgeschirmtes Hauptquartier des staatlichen Rundfunks

Eines meiner abenteuerlichsten Peking-Erlebnisse war, die Abreise von hier zu organisieren. Ich bin zum Südbahnhof, um mir eine Fahrkarte für den Schnellzug nach Xi’an zu organisieren. Der Bahnhof besteht aus drei riesigen Stockwerken voller Läden, Menschen und Sicherheitsschleusen. Entsprechend lange suche ich die Ticketschalter. Es sind etwa zehn Stück, eng nebeneinander, alle geöffnet, jeweils 20 oder 30 Leute in der Schlange. Als ich an der Reihe bin stellt sich heraus: Die Beamtin spricht kein Wort Englisch. Sie deutet auf den Nachbarschalter, ich soll mich dort neu anstellen. Offenbar schaffe ich es, hinreichend verzweifelt zu gucken und sie organisiert einen Platztausch mit dem Zweitplatzierten von Nebenan.

Die Kollegin dort spricht ein bisschen Englisch. Allerdings sind wir durch eine Glasscheibe getrennt, um uns herum brüllen zwanzig Chinesen ebenfalls durch eine Glasscheibe; dahinter vertreiben sich ein paar Hundert die Warterei mit lautem Geplapper, und von ganz hinten kommen laufend irgendwelche Durchsagen. Kurz: Es ist unfassbar laut. Als die Schalterfrau endlich verstanden hat, wo ich hin will, dreht sie ihren Monitor zu mir, ich dirigiere sie mit Gesten durch die Menüs für Reisedatum, Uhrzeit, Zugtyp und Sitzkategorie. Ich hatte mir die Details der Fahrt vorher gar nicht so genau überlegt (sie sind auch nicht einfach zu recherchieren), in der naiven Annahme, ich könne mich am Bahnhof in aller Ruhe beraten lassen.

Irgendwann halte ich eine Fahrkarte in Händen. Die mich zwei Tage später sogar in die gewünschte Stadt bringen wird. Wuhu!