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Die Kirche, das Geld und die Flüchtlinge

Schon seit längerem erscheinen mir die Kirchen in der Flüchtlingsfrage relativ still. In Rom findet der Papst sehr klare Worte. Aber was machen die Bischöfe und Pfarrer vor Ort? Nun habe ich eine Geschichte gefunden, die meinen Verdacht ein Stück weit bestätigt. In Parsdorf im Landkreis Ebersberg besitzt die Kirche ein großes Wirtshaus, das seit über einem Jahr leersteht. Das Landratsamt hat bereits 2014 angefragt, ob dort Flüchtlinge einziehen könnten. Stattdessen bereitet die Kirche nun einen Verkauf vor. Überzeugende Gründe, warum der Gasthof als Flüchtlingsunterkunft nicht in Frage kommt, konnten die Verantwortlichen auf meine Nachfragen nicht nennen. Hier die ganze Geschichte in der Ebersberger SZ.

„Ich will keine neue Weltordnung – ich will nur ’nen Fleck in dieser“

Broilers – Ich will hier nicht sein

In diesem Posting kommen zwei Themen zusammen, für die ich mich sehr interessiere und die in diesem Blog schon öfter Thema waren: Punkrock und Asyl. Die Düsseldorfer Punkband Broilers hat einen Song über die Schicksale von Flüchtlingen geschrieben. Das Video zu „Ich will hier nicht sein“ feierte gestern Premiere, und die Kombination aus Text, Musik und Film ist wirklich bewegend. Es geht um Menschen, die in ihrer Heimat nicht bleiben können:

Von dem was ich hatte
blieb nur der Rauch.

Die aber auch an ihrem neuen Wohnort unerwünscht sind.

Das was ich damals lernte,
das was ich weiß,
ist hier vollkommen ohne Bedeuteung
hier sind alle gleich.
Gleich wenig willkommen,
gleich wenig beliebt.
Gleichermaßen umkämpft,
ein bisschen wie im Krieg.

In der dritten Strophe äußert der Protagonist einen bescheidenen Wunsch:

Ich will keine neue Weltordnung – ich will nur ’nen Fleck in dieser.

Durch widerkehrende „Wuhuuhuu“-Chöre wirkt „Ich will hier nicht sein“ hymnisch und leicht, trotz des traurigen Themas.

Der Song wird im Video immer wieder runtergepegelt, um kurzen Statements von Flüchtlingen Raum zu geben. Diese wurden nach Angaben der Band in Berliner Flüchtlingsheimen aufgenommen.

Mehr zum Thema Flucht und Asyl:

Hilfe für den Helfer

Ich möchte auf eine aktuelle Petition hinweisen, die Asyl für den afghanischen Flüchtling Shakib Pouya fordert.

Ich lernte Pouya kennen, als ich letztes Jahr für presstige über das Leben von Flüchtlingen in Augsburg recherchiert habe. Pouya stammt aus Afghanistan, wo er für eine französische Hilfsorganisation als Zahnarzt gearbeitet hat. Die Taliban lehnen Zusammenarbeit mit Nichtmuslimen ab. Dieser Umstand wurde bereits häufig in den Medien thematisiert, da er auch die einheimischen Helfer der Bundeswehr betrifft. Aber auch Pouya wird wegen seiner Arbeit von den Taliban verfolgt. Bei einem Bombenanschlag auf das Haus der Familie kam sein Vater ums Leben.

Pouya wird auf Grund seines humanitären Engagements verfolgt. Ihm muss das Grundrecht auf Asyl gewährt werden. Pouya ist in Deutschland bereits gut integriert, er engagiert sich im Grandhotel Cosmopolis und hilft mit seinen Sprachkenntnissen anderen Flüchtlingen. Pouya ist eine Bereicherung für die Gesellschaft in Deutschland. Er singt in der Band Blinde Passagiere, einem Projekt von Musikern aus Augsburg und der Welt. Seine bescheidenen Wünsche für die Zukunft hat Pouya mir gegenüber so zum Ausdruck gebracht:

„Ich wünsche mir ein normales Leben. Ich möchte arbeiten. Ich möchte singen.“

Pouya muss bleiben. Bitte unterschreibe die Petition.

  • Meine Reportage „Die Unerwünschten“ kann man hier nachlesen.

Die Unerwünschten

Ein Besuch bei Flüchtlingen in Augsburg

Flüchtlinge leben hierzulande am Rande der Gesellschaft, häufig zu unwürdigen Bedingungen und sozial isoliert. Ein Besuch bei Menschen, die sich integrieren wollen, aber nicht gelassen werden.

[erschienen in presstige e-Paper #4 / Fotos: Corinna Scherer]

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Von außen wirkt das Gebäude wie das, was es ist: eine ehemalige Kaserne, im Verfall begriffen. Der rote Backstein über Jahrzehnte vom Ruß geschwärzt, die Fenster milchig, im Erdgeschoss vergittert. Wir gehen nach innen, das Bild bleibt stimmig. Der Flur ist kalt, schmutzig und trostlos. Die Wände sind marmoriert mit Schimmel und Dreck. Weiter in die Küche: Auch hier Schimmel, die Bodenleisten sind mit einem schwarzen Film überzogen, ein paar uralte Öfen stehen herum. Auf der Toilette herrscht unerträglicher Gestank.

Das Haus in der Calmbergstraße ist eine von sechs Unterkünften für Asylbewerber in Augsburg. 144 Männer leben hier, bis zu fünf teilen sich ein Zimmer. Küche und Sanitäreinrichtungen sind auf dem Gang. Flüchtlingsheime sind hierzulande meist keine Wellnesshotels; die Unterbringung soll, so steht es in der einschlägigen Verordnung, „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“. Dennoch gelten die Zustände in der Calmbergstraße unter Fachleuten als besonders miserabel. „Die Calmbergstraße muss geschlossen werden“, fordert Mathias Fiedler vom Augsburger Forum Flucht und Asyl. Verantwortlich für die Unterkunft ist die Regierung von Schwaben. Dort heißt es nur, man habe keine anderen Gebäude zur Verfügung, die Suche nach geeigneten Immobilien sei schwierig.

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Wie lebt es sich in solchen Unterkünften? Pouya Shakib erzählt von Lärm,  lauter Musik und Trinkgelagen. Streit und Gewalt gehören zum Alltag. Lesen oder Lernen seien unter diesen Bedingungen unmöglich, sagt der Afghane. Häufig sind die Flüchtlinge von den Erlebnissen in ihrer Heimat traumatisiert, haben psychische Probleme. Shakib leidet an Magenproblemen und Schlaflosigkeit. „Ich habe Angst, verrückt zu werden.“

Integration unerwünscht

Viele der Bewohner wollen nicht mit uns sprechen. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass Pressekontakte von den Behörden nicht gern gesehen sind und mit Repressionen beantwortet werden. Nicht offiziell natürlich, aber auf Umwegen. Außerdem seien schon so viele Medien dagewesen, „sogar das ZDF, aber ändern tut sich nichts“.

Wenn dann bei einer Tasse Tee doch jemand ein bisschen erzählt, anonym und hinter verschlossenen Türen, geht es schnell um die harten Themen. Residenzpflicht, Arbeitsverbot, den Kampf mit der Bürokratie. Viele sind seit vielen Jahren da, sprechen gut Deutsch, wollen arbeiten und sich integrieren. Saman ist seit fünf Jahren in Deutschland, er stammt aus dem Irak und hat eine Duldung mit eingeschränkter Arbeitserlaubnis (siehe Kasten). Er arbeitet bis zu elf Stunden täglich an sechs Tagen der Woche als Küchenhilfe. Und bekommt einen lächerlichen Lohn. Mehr kann ihm der Arbeitgeber nicht zahlen, sonst wäre die Stelle auch für Deutsche attraktiv und Saman dürfte sie nicht antreten. „Es ist politisch gewollt, dass die Flüchtlinge sozial isoliert bleiben. Eine Integration in die Gesellschaft ist nicht vorgesehen“, meint dazu Mathias Fiedler.

Essenspakete und Arbeitsverbot

Immerhin erhalten die Asylbewerber nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2012 inzwischen etwas mehr Geld, 346 statt bisher 224 Euro. 134 Euro werden in bar ausgezahlt, der Rest sind Sachleistungen, vor allem Essenspakete. Zwei Wochen im Voraus müssen die Lebensmittel bestellt werden. Auf einem Formular kann aus verschiedenen Kategorien eine festgelegte Menge ausgewählt werden, etwa „1 x Süßwaren/Knabbereien“ oder „3 x Fleisch/Fisch/Fertiggerichte“.  Geliefert werden die Pakete für fast ganz Bayern von einer Firma in Baden-Württemberg. Laut Recherchen des Bayerischen Flüchtlingsrats aus dem Jahr 2010 liegen die Kosten gut 20 Prozent über dem Einkaufspreis vergleichbarer Waren im Supermarkt. Die Bevormundung der Asylbewerber kommt Staatshaushalt und lokalem Einzelhandel teuer zu stehen.

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In Afghanistan hat Shakib als Zahnarzt für eine französische Hilfsorganisation gearbeitet. Doch die Taliban, die immer noch großen Einfluss im Land haben, verurteilen die Zusammenarbeit mit Nichtmuslimen. Zudem verstößt er als Musiker gegen deren radikale Auslegung des Islam. Shakib erhielt Morddrohungen, bei einem Bombenanschlag auf das Haus der Familie in Herat wurde sein Vater getötet. Shakib musste Frau und Kinder verlassen und fliehen. Nach einer einjährigen Odyssee durch den Iran, die Türkei, Griechenland und Italien und unzähligen Festnahmen kam er schließlich nach Augsburg. Er beantragte Asyl und fand Arbeit in einem Altenheim, bekam jedoch keine Arbeitserlaubnis. Auch sein Asylantrag wurde mehrfach abgelehnt, ihm droht die Abschiebung. Der 29-Jährige würde erneut fliehen: „Ich kann nicht in Afghanistan bleiben.“ Seine Wünsche für die Zukunft klingen bescheiden. „Ich wünsche mir ein normales Leben. Ich möchte arbeiten. Ich möchte singen“. Selbstverständliche Dinge, die ihm in Afghanistan verwehrt werden. In Deutschland bisher auch.

Update August 2013: Eine aktuelle Petition fordert, Pouya endlich Asyl in Deutschland zu gewähren. Bitte unterschreiben!

Info: Asylrecht in Bayern

Gemäß der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem deutschen Grundgesetz wird politisch Verfolgten in Deutschland Asyl gewährt. Dieses Grundrecht wurde durch den sogenannten Asylkompromiss 1993 massiv eingeschränkt, in der Folge ging die Zahl der Asylanträge stark zurück. Bis zur Entscheidung über den Antrag erhalten die Flüchtlinge den Status Asylbewerber. Sie dürfen den Regierungsbezirk nicht verlassen (Residenzpflicht), dürfen weder arbeiten noch eine Ausbildung machen (ab dem zweiten Jahr sind Ausnahmen möglich), sind in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht und erhalten vornehmlich Sachleistungen. Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, deren Abschiebung aber nicht möglich ist, erhalten eine Duldung. Sie können unter Umständen aus der Gemeinschaftsunterkunft ausziehen und einer Arbeit nachgehen, wobei Vorrang für Deutsche und EU-Bürger besteht. Ihre Residenzpflicht ist auf den Freistaat Bayern ausgedehnt.

 

Refugee Camp Vienna

Ein nasskalter Januartag in Wien. Der Sigmund-Freud-Park wirkt trostlos. Wenige Touristen haben sich her verirrt und knipsen lustlos ein paar Bilder. Bis vor ein paar Tagen war hier noch mehr los; Asylbewerber hatten im Park ein Protestcamp errichtet. Kürzlich wurde es geräumt, in einer nächtlichen Polizeiaktion mit Baggereinsatz und unklarer Rechtsgrundlage. Die Flüchtlinge sind in die anliegende Votivkirche umgezogen, hier lässt man sie bisher bleiben, der Wiener Kardinal war sogar schon zu Besuch. Das habe ich auch vor.

„Die Kirche ist geschlossen“, sagt ein grimmiger Wachmann, heute seien nur „diese Leute“ da. Nach einigem Hin und her lässt man mich doch hinein. Es ist eisig kalt im Gotteshaus. Die Flüchtlinge kauern auf eng zusammengeschobenen Matratzen, eingehüllt in Jacken, Decken, Schlafsäcken, betreut von Sanitätern und Helfern der Caritas. Viele sind im Hungerstreik, seit Tagen oder Wochen. Als Protest gegen das österreichische, das europäische Asylsystem, das Asylsuchenden zwar das Notwendigste gibt, aber kein Leben in Würde, keine Freiheit, keine Selbstbestimmung zulässt. Die Protestierenden fordern unter anderem freien Zugang zum Arbeitsmarkt und eine unabhängige Instanz zur Prüfung von Asylbescheiden.

Protestcamp Votivkirche

Was soll man schreiben? Ich kenne die Menschen nicht. Ich kenne ihre Geschichten nicht, ich weiß nicht wer sie sind und was sie hier her geführt hat. Mit Einzelnen konnte ich ein paar Worte wechseln. Viele sind aus der pakistanisch-afghanischen Grenzregion, wo die Taliban immer noch mächtig sind. Ein 18-Jährige Pakistani ist dabei, der Ingenieurwesen studiert hat, bis er vor den Taliban fliehen musste. Jede dieser 40 Geschichten könnte weit mehr als einen kurzen Blogeintrag füllen. Und jede wäre es wert, erzählt zu werden. Jede wäre interessanter als alles, was die großen Sender zur Primetime zeigen und die großen Magazine auf ihre Cover packen.

Ich kann nur ein paar Eindrücke sammeln und versuchen, eine Ahnung zu bekommen. Nach einer Stunde in dieser eiskalten Kirche, beim Anblick dieser entkräfteten, wütenden Menschen, weiß ich, dass ich das niemals könnte, als Wohlstandseuropäer, der es gewohnt ist, satt zu sein und im Warmen zu sitzen. Doch die Verzweifelten hier haben schon ganz andere Sachen erlebt. Und nichts mehr zu verlieren.

Ich weiß nicht, ob ich alle Forderungen der Votivkirchenbesetzer zu einhundert Prozent unterstützen kann. Aber grundsätzlich muss sich an der Situation von Flüchtlingen in Deutschland, Österreich und Europa etwas ändern. Es muss eine reale Perspektive auf Asyl geben. Nicht jeder Asylantrag ist berechtigt, aber jeder muss ernsthaft geprüft werden. Wir müssen den Flüchtlingen, mit welchem Rechtsstatus auch immer, eine gewisse Würde und Selbstbestimmung lassen. Und wir dürfen sie nicht von der Gesellschaft isolieren. Der Wiener Rechtsanwalt Georg Bürstmayr schrieb im Standard:

Deshalb kriegen illegale Migranten und Asylwerber bei uns zwar ein Dach überm Kopf – aber zugleich sagt man ihnen in allen Sprachen dieser Welt: Du bist hier nicht willkommen. Du bist bestenfalls geduldet, und nur so lange, bis wir es uns anders überlegen, und sei das nach drei, fünf oder zehn Jahren. Bis dahin beweg dich nicht, gib keinen Laut, und wenn, dann als Bittsteller.

Friedensanspruch und Flüchtlingsrealität

Die zwei Gesichter der EU

Wir sind Nobelpreis: Der Friedensnobelpreis 2012 geht an die Europäische Union. “Für über sechs Jahrzehnte Förderung von Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten”, so gab es das Norwegische Nobelkomitee am 12. Oktober in Oslo bekannt.

Macht ja irgendwie auch Sinn. Das Projekt EU hat mit dafür gesorgt, dass in großen Teilen Europas seit 67 Jahren Frieden herrscht. Zuerst die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich, dann die Integration von Griechenland, Spanien und Portugal nach dem Ende der dortigen Diktaturen und die Osterweiterung nach dem Fall des eisernen Vorhangs – die Europäische Union steht für Völkerverständigung. Und der Prozess ist noch nicht abgeschlossen, mehrere Staaten aus dem ehemaligen Jugoslawien stehen schon vor der Tür. Nach Jahrhunderten des Krieges werden Konflikte zwischen europäischen Staaten inzwischen meist am Verhandlungstisch ausgetragen. Duurch die Eurokrise gerät diese historische Dimension ins Hintertreffen. Die Gemeinschaft wird zunehmend als Haftungsgemeinschaft wahrgenommen, in den Mitgliedsstaaten wachsen Euroskepsis und Nationalismus. In dieser Situation ist die Verleihung des Friedensnobelpreises ein Appell, die vielzitierte „Europäische Idee“ nicht aus dem Blick zu verlieren. Doch was bedeutet diese Idee in der Realität?

Das vereinte Europa verspricht Frieden und Freiheit. Für uns Bürger wird dieses Versprechen auf dem Weg in den Urlaub konkret erlebbar: Wir fahren dank dem blauen Streifen auf dem Nummernschild kreuz und quer über den Kontinent. Landesgrenzen sind für uns nicht mehr als Schilder am Rande der Autobahn, wir werfen einen kurzen Blick auf verfallene Kontrollposten und fahren weiter.

Die Tatsache, dass in Europa seit Jahrzehnten Frieden und Wohlstand herrschen, macht diese Weltregion sehr attraktiv für Menschen aus Gegenden, in denen die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen nicht ganz so rosig sind. Zur Wahrheit der Europäischen Union gehören auch die Menschen, die von einem Ort irgendwo auf dieser Welt aufbrechen und bei uns Zuflucht vor Armut, Verfolgung und Krieg suchen.

Hier endet die preiswürdige Friedensgeschichte.

Tausende machen sich jedes Jahr an den Küsten Nordafrikas auf den Weg, um mit kleinen Booten das Mittelmeer in Richtung Europa zu überqueren. Diese Menschen sind hier alles andere als willkommen. Die EU-Staaten schotten ihre Grenzen immer effektiver gegen Einwanderer ab; entsprechend gefährlich werden die Routen, auf denen Flüchtlinge eine Chance sehen. Die Boote sind selten seetauglich, meistens überladen und nicht immer kompetent gesteuert. Dementsprechend oft kommt es zu Unglücken. Es gibt zahlreiche belegte Fälle, in denen Flüchtlingsbooten in Seenot die Hilfe verweigert wurde – auch von Küstenwacheinheiten der EU-Staaten. Im Jahr 2011 sind nach Angaben von Amnesty International 2.000 boat people im Mittelmeer ertrunken, seit 1988 insgesamt 18.000 Menschen an Europas Außengrenzen gestorben. Ziemlich viel für einen Kontinent des Friedens.

Auch wer die Überfahrt überlebt und in Europa ankommt, dessen Odyssee ist noch nicht zu Ende. In der Regel landen die Schutzsuchenden dann in Auffanglagern in Südeuropa, wo häufig menschenunwürdige Zustände herrschen. Medizinische Versorgung ist kaum vorhanden, Unterkünfte sind massiv überfüllt, viele Flüchtlinge sind obdachlos oder inhaftiert. Manfred Nowak, damals UN-Sonderberichterstatter über Folter, besuchte 2010 ein Abschiebegefängnis in Griechenland. Er schreibt über seine Beobachtungen:

Unter der Tür zu den verstopften Toiletten rann ein Rinnsal aus Wasser, Urin und Fäkalien in den Schlafraum, wo die Menschen am Boden schlafen sollten. Der Gestank war beinahe unerträglich. Die Brühe stand etwa fünf Zentimeter hoch. Frauen standen mit ihren kranken Kindern im Arm, erschöpft von monatelanger Flucht, und weinten still vor sich hin.

In den vom hohen Ansturm überforderten Mittelmeerländern ist die Situation besonders schlimm. Doch das sogenannte Dublin-II-System versperrt den Asylanwärtern die Weiterreise in einen anderen EU-Staat: Für die Bearbeitung des Antrags ist ausschließlich das Land der Erstankunft zuständig. Werden die Flüchtlinge woanders aufgegriffen, werden sie per Fingerabdruck identifiziert und zurückgeschickt. Die wohlhabenden Staaten Mitteleuropas ziehen sich damit aus der Verantwortung.

Derzeit wird im EU-Parlament eine Änderung der „Aufnahmerichtlinie“ diskutiert. Dabei ist vorgesehen, dass Flüchtlinge künftig wegen einer Vielzahl von nichtigen Gründen schon bei der Ankunft in sogenannte Aufnahmehaft genommen werden dürfen. Das ist die europaweite Ausdehnung einer Praxis, die in Griechenland bereits Anwendung findet. Auch das hat sich ein Berichterstatter der UN angesehen. François Crépeau sagt über die vorgefundenen Einrichtungen, er würde dort nichtmal eine Stunde verbringen wollen. Flüchtlinge sind dort häufig für Monate eingesperrt, darunter auch Kinder.

„Wir werden stets auf der Seite derjenigen stehen, die nach Frieden und Menschenwürde streben“ sagte Komissionspräsident Barroso auf seiner Rede bei der Preisverleihung in Oslo. Die Realität an den Außengrenzen der Festung Europa sieht anders aus. Bei ihrer Flüchtlingspolitik  muss die Europäische Union dringend nachbessern, um ihrem Anspruch und Selbstverständis gerecht zu werden.

Grandhotel Cosmopolis

Ich hatte gestern die Gelegenheit, im Rahmen einer Führung das Projekt „Grandhotel Cosmopolis“ im Augsburger Domviertel näher kennen zu lernen. Die Einrichtung möchte an die Tradition der Grandhotels im 19. Jahrhundert anknüpfen und eine Begegnug von Fremden und Einheimischen unter einem Dach ermöglichen. Das siebenstöckige Gebäude, ein ehemaliges Altenheim, soll später eine Flüchtlingsunterkunft, ein Hostel, Künsterateliers, eine Bar und ein Restaurant beherbergen. Ein ehrenamtliches Team steckt irre viel Engagement und Know-How in das Haus. Ich war beeindruckt!