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Autor: cendt (Seite 8 von 19)

Elektro-Lastenräder für Berlin

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In Metropolen sind Fahrradkuriere oft die schnellste Möglichkeit, wichtige Dokumente von A nach B zu bringen. Mit ihren leichten Rennrädern schlängeln sich die Kuriere zwischen den kriechenden Autos durch und müssen am Zielort keinen Parkplatz suchen.

Das Berliner Start-up Velogista überträgt dieses Erfolgsprinzip auf den Warentransport. Wenn es also um mehr geht als um ein paar Blätter Papier, die der Kurier in seinen Rucksack steckt. Velogista verwendet Lastenräder, die bis zu 250 Kilogramm transportieren können – unterstützt durch einen Elektromotor. Der Kastenaufbau am Heck der Fahrräder hat Platz für eine Europalette. Dank des 250 Watt-Motors würden die Kuriere dennoch eine Geschwindigkeit von 25 Kilometer pro Stunde schaffen, schrieb mir Milan von Velogista. Eine Akkuladung reiche für 60 bis 70 Kilometer.

blog_2Die Akkus der Fahrrad-Flotte werden mit Ökostrom aufgeladen. Das Transportkonzept verschont also nicht nur die Stadt mit Abgasen und Lärm, sondern ist auch klimafreundlich. Derzeit bedient Velogista mit zwei Fahrzeugen nach eigenen Angaben 30 Kunden in Berlin, für die sie mit einer eigenen Logistiksoftware auch die Tourenplanung übernimmt. Darunter ist zum Beispiel eine Firma, die Haushalte mit Biokisten beliefert. Bei deren Kunden kommen die Öko-Kuriere bestimmt gut an.

Heute startet Velogista mit einer Crowdfunding-Kampagne. Damit will die Firma unter anderem drei weitere Lastenräder  finanzieren. Langfristig wollen die Kreuzberger in andere Städte expandieren.

Projekt Privatsphäre: Mehr Anonymität beim Surfen

Das Netz ist gerade voll von „Citizenfour“. Der Film von Laura Poitras über Edward Snowden hatte am Wochenende Premiere in New York und kommt am 6. November in die deutschen Kinos. Der New Yorker hat einen langen interessanten Text über die Entstehung der Doku.

Der Film erinnert mich daran, meine To Do-Liste mit persönlichen Konsequenzen aus den Snowden-Leaks weiter umzusetzen. Ich will es den Geheimdiensten so schwer wie möglich machen, meine Daten auszuspähen. Das bedeutet in der Praxis vor allem, so wenig wie möglich die Dienste der großen amerikanischen Internet-Konzerne zu nutzen. Google, Facebook, Microsoft und Yahoo sind gesetzlich verpflichtet, der NSA Zugang zu ihren Daten einzuräumen. Außerdem gut: PGP-Verschlüsselung für E-Mails einrichten.

In den letzten Tagen habe ich versucht, meine Browser-Nutzung etwas sicherer zu machen. Hier liste ich auf, wie ich meinen Firefox-Browser konfiguriert habe. Ich bin sicher nicht der Erste, der auf diese Tools hinweist. Ich habe sie ja selbst nur bei verschiedenen Quellen zusammengesucht. Aber es schadet sicher nicht, wenn eine weitere Seite im Internet mit diesem Wissen gefüllt wird. Am Ende muss jeder seinen eigenen Kompromiss zwischen Datensicherheit und Komfort finden.

Cookies deaktiveren

Wenn du eine Website besuchst, speichert diese möglicherweise eine kleine Datei, ein Cookie, auf deinem Rechner. Diese Datei ermöglicht es der Seite, dich bei deinem nächsten Besuch wiederzuerkennen. In Firefox lässt sich die Nutzung von Cookies deaktivieren. Wie das geht, steht hier.
Viele Websites, wie Facebook, Twitter und Online-Banking-Portale, lassen sich ohne Cookies nicht nutzen. Wer Cookies ausschaltet, muss anschließend für jede dieser Seiten eine Ausnahmeregel hinzufügen. Das nervt am Anfang, aber nach ein, zwei Tagen hat man die wichtigsten Ausnahmen eingerichtet.

Anonymes Suchen

Startpage leitet deine Suchanfrage anonym an Google weiter und gibt die Ergebnisse wiederum an dich zurück. Google kann dein Suchprofil also nicht speichern und dir keine personalisierte Werbung anzeigen. Der Umweg bedeutet eine gewisse Verzögerung, die ich aber akzeptabel finde. In Firefox kannst du Startpage als Standard-Suchmaschine einrichten und dann deine Suchbegriffe direkt in die Adresszeile eingeben.

Sichere Verbindungen

Das Add-on HTTPS Everywhere wird von der Electronic Frontier Foundation herausgegeben. Es sorgt dafür, dass mit jeder Website eine HTTPS-Verbindung aufgebaut wird, sofern diese das ermöglicht.

Tracking-Dienste ausschalten

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Das Add-on Ghostery zeigt für jede angesurfte Website an, welche Tracking-Software dort verwendet wird. Mit solchen Werkzeugen sammeln Websiten Informationen über ihre Besucher, etwa Herkunftsland, verwendeter Browser und IP-Adresse. Diese Informationen ermöglichen Rückschlüsse auf die Identität des Nutzers. Mit Ghostery kannst du jeden Tracker (nytimes.com nutzt bei meinem Test beispielsweise acht verschiedene) einzeln deaktivieren. Ich schalte nahezu alles ab. Bis auf die VG Wort – mit der verdiene ich schließlich einen Teil meines Geldes…

Der steinige Königsweg: Tor

Den besten Schutz vor Rückverfolgung im Netz bietet das Proxy-Netzwerk Tor. Prinzipiell lässt sich via Tor nicht zurückverfolgen, von welchem Rechner der Zugriff auf eine Website erfolgt. Völlige Sicherheit gibt es allerdings nicht. Um über Tor zu surfen, musst du einen eigenen Browser installieren, eine Modifikation des Firefox. Da der Traffic über drei Tor-Surfer geleitet wird, bist du damit relativ langsam unterwegs. Für den Alltag ist Tor daher aus meiner Sicht ungeeignet. Ich habe es aber installiert und eingerichtet, um für heikle Netz-Missionen darauf zurückgreifen zu können. Was du wissen solltest: Die NSA hält alle Tor-Nutzer für Extremisten.

Eine weitere, allerdings nicht ganz billige Möglichkeit zum anonymen Surfen sind VPN-Netzwerke. Mehr dazu hier.

Mehr zum Thema auf cendt.de

Balkan Safari Ice Cream Index (BSICI)

In Dubrovnik zahlt man 30 Prozent Touri-Aufschlag.

In Dubrovnik zahlt man 30 Prozent Touri-Aufschlag.

Im September reisten Max und ich mit dem Rucksack durch Südosteuropa. Da es einerseits Sommer war, wir andererseits jedoch mit sehr geringem Budget unterwegs waren, haben wir relativ oft geschaut, ob wir uns eine Kugel Eis leisten könnenwollen. Irgendwann fing ich an, die Preise in mein Notizbuch zu schreiben. Und irgendwann erhielt das Projekt einen Namen: Balkan Safari Ice Cream Index. Kurz: BSICI. Als Nebenprojekt entstand der BSCBI, Balkan Safari Canned Beer Index.

Zurück von der Reise, habe ich die Daten mal in eine Tabelle geschrieben. Hatten wir aus einem Land mehrere Preise, ist der jeweils billigste in den Index eingeflossen, um Aufschläge für Touri-Hotspots (wie Dubrovnik) zu eliminieren.

Land Kugel Eis (EUR) 0,5l Bier (EUR) BIP pro Kopf (EUR)
HR 0,92 1,44 10.806,41
ME 0,50 1,00 5.691,54
AL 0,29 0,72 3.715,55
GR 1,50 1,09 17.499,52

Dann habe ich zu jedem Land das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf rausgesucht, und Google den Korrelationskoeffizient berechnen lassen. Das Ergebnis ist einigermaßen erstaunlich:

Zwischen unseren Eis-Preisen und dem BIP pro Kopf gibt es eine Korrelation von 0,999.

Wir haben ja keine auch nur annähernd wissenschaftliche Erhebung gemacht, wir sind einfach durch die Straßen geschlendert und haben ab und an geschaut, was das Eis so kostet. Aus Kroatien, Montenegro und Albanien hatten wir je zwei Werte. Am Ende wurden wir nachlässig, aus Griechenland gibt es nur eine Zahl (Athen).

Mit dem Dosenbier funktioniert es nicht so gut: Das korreliert nur mit 0,535 mit dem BIP pro Kopf. Eis und Bier korrelieren untereinander mit 0,541. Ein befreundeter Volkswirt hatte dafür auch sofort eine plausible Erklärung: „Dosenbier ist ja ein Suchtmittel, da kann man einkommensunabhängigere Preise setzen.“bsici_chart

Natürlich ist das totaler Quatsch. Natürlich lässt sich aus vier Datenpaaren keine brauchbare Statistik basteln. Lustig ist es trotzdem. Naja, nerd-lustig zumindest.

https://www.facebook.com/cendt/posts/10203962238829200

Aral Balkan: Free is a Lie

aral_balkanZitat Aral Balkan (Screenshot)

Zurück von vier Wochen unterwegs in Südosteuropa, habe ich endlich wieder Zeit den ganzen Tag im Internet rumzuhängen. Auf dem Blog von Martin Giesler fand ich einen tollen Vortrag, den Aral Balkan im April gehalten hat.

Der Titel „Free is a Lie“ bezieht sich darauf, dass die Gratis-Dienste, die Google, Facebook und andere anbieten, mt einem verdammt hohen Preis verbunden seien: dem Verlust unserer Privatsphäre, Menschenrechte und Freiheit. Anders gesagt: Wenn du für einen Dienst nicht bezahlst, bist du nicht der Kunde, sondern das Produkt. Wer moderne Technologie nutzen möchte, komme um dieses Geschäftsmodell, das Dienste gegen Daten tauscht, nicht herum.

Der Ausweg daraus ist für Balkan politisch-gesellschaftlich, aber auch technisch-designerisch zu suchen. Mit Letzterem meint er die Entwicklung von Software, die offen ist und die Privatsphäre wahrt. Teilweise gibt es ja Alternativen – etwa den Messenger Threema (und andere) oder Mailprovider wie Posteo – aber das Problem, so Balkan, ist das diese in Punkto Nutzerfreundlichkeit oft bei weitem nicht an die Angebote der Valley-Konzerne herankämen. Als Beispiel nennt er das Handy-Betriebssystem Firefox OS.

Balkan hat recht: Viele alternative Dienste sind umständlich zu bedienen und/oder schlecht gestaltet. Auch Posteo hat mich einige Einrichtungszeit gekostet, bis es auf allen Geräten lief und vernünftig konfiguriert war. Und der Webmailer ist immer noch hässlich, unpraktisch und nicht mobile-friendly. Ich verstehe, dass die wenigsten Leute bereit sind, diesen Aufwand und Qualitätsverlust gegenüber Gmail und Co in Kauf zu nehmen.

Es gibt aber noch einen anderen wichtigen Punkt: Wer auf die Datensammelei verzichtet, braucht eine andere Einnahmequelle. Die meisten Alternativ-Dienste kosten daher Geld. Meistens ist das nicht viel – bei Posteo beispielsweise einen Euro im Monat. Aber es kostet. Und wer ist bereit, für etwas zu bezahlen, was er auch umsonst haben kann? Als ich nach der WhatsApp-Übernahme durch Facebook in meinem Bekanntenkreis für Threema geworben habe, musste ich feststellen: fast niemand. Threema kostet einmalig 1,60 Euro.

Solange diese Alternativen aber ein Nischenprodukt bleiben, werden sie auch nicht die Ressourcen haben, um qualitativ mit den Netzkonzernen gleichzuziehen. Ein Dilemma. Zumindest, solange das Bewusstsein für Privatsphäre und Freiheit im Netz so gering ist.

Balkan kann über dieses Thema nicht nur hervorragend reden, er will auch was tun: Mit einem kleinen Team arbeitet er an dem sozialen Netzwerk „Heartbeat“ und einem „Indie Phone“ inklusive eigenem Betriebssystem. Ich bin gespannt, was da kommt.

Weiterführende Links zu im Vortrag angesprochenen Themen

Mehr zum Thema auf cendt.de

Update 10. Oktober: Der Social Media Watchblog hat ein deutschsprachiges Interview mit Aral Balkan.

https://www.facebook.com/cendt/posts/10203946313871086

Gelesen (9)

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Wer sich erkühnen wird, Wahrheiten zu sagen, an deren Verheimlichung den Unterdrückern gelegen ist, wird Ketzer und Aufrührer heißen und als Verbrecher bestraft werden.

Christoph Wieland, 1812

via Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung vom 4. August 2014

Das Spiel ist aus

Die WM ist vorbei. Während ganz Deutschland hyperventilierend über #Gauchogate diskutiert, macht sich ein chilenisch-französisches Architektenduo konstruktive Gedanken für die Zukunft. Konstruktiv ist bei Architekten natürlich wörtlich gemeint. Die Jungs haben sich überlegt, was man jetzt aus diesen Stadien machen könnte, die keiner mehr braucht. In vier von zwölf WM-Städten gibt es ja weder einen Erst- noch Zweitligaverein.

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Estádio Nacional in Brasilia – Simulation: 1week1project.org

Axel de Stampa und Silvain Macaux hatten die Idee, Wohnungen in die Stadionfassaden zu integrieren. In ihrem Konzept sind die Arenen weiterhin als solche nutzbar, schaffen aber eben auch neuen Wohnraum. Im Blog der Architekten haben sich bereits einige Brasilianer zu Wort gemeldet. Es wird unter anderem kritisiert, dass sich das Konzept auf alle zwölf Stadien bezieht, da acht davon ja weiterhin für Fußball genutzt werden. Außerdem seien die Wohnungen mit 105 Quadratmetern viel zu groß angelegt, die übliche Sozialwohnung in Brasilien habe 35 Quadratmeter. Auch technische Bedenken von Statik bis zu Brandschutz gibt es.

Die meisten Einwände sind sicher irgendwie berechtigt. Aber mir gefällt die Herangehensweise von Axel und Silvain. Ihr Blog heißt „1 Week 1 Project – spontaneous architecture„. Sie nehmen sich also jeweils eine Woche Zeit, um ein Konzept zu entwickeln. Sicher zu wenig, um allen Bedenkenträgern gerecht zu werden. Aber offensichtlich genug, um spannende Denkanstöße zu geben.

In einem anderen Projekt schlagen Sie vor, wie man Nordfassaden etwas Sonnenlicht schenken könnte – durch die Installation hübscher Spiegel an der gegenüberliegenden, nach Süden ausgerichteten Häuserwand. Keine Ahnung, ob das nicht blendet wie Hölle, aber der Gedanke ist interessant. Als Silvian heiratete, spielten sie ein bisschen mit dekorativen Luftballons herum.

via Greenality Movement

Nur fetten Sound und einen Tanzfloor

Als Quintessenz einiger verdammt guter Clubnächte in letzter Zeit und um hier auch mal eine Liste gepostet zu haben:

Meine persönlichen Top Ten Tanzsongs

Insgesamt eher so aus der Lärm-Ecke. Und großteils so alt, dass es schon lief, als ich sechzehn wurde. Damals™. Als Playlist sicher nicht mehrheits- oder gar konsensfähig. Sondern sehr, sehr subjektiv. Die Lieder, die mich persönlich zum Durchdrehen bringen. Here we go:

  1. Rage Against The Machine – Killing In The Name
  2. Papa Roach – Last Ressort
  3. Rise Against – Satellite
  4. Jet – Are You Gonna Be My Girl
  5. The Killers – Mr. Brightside
  6. The Subways – Rock’n’Roll Queen
  7. System Of A Down – Toxicity
  8. Disturbed – Down With The Sickness
  9. Blink-182 – All The Small Things
  10. Green Day – Basket Case

Sonderpreis der Jury: Rammstein – Du Hast
Hört man im deutschsprachigen Raum ja eher selten im Club. Käme dort viellicht auch nur halb so cool wie in Istanbul, wenn der ganze Laden mitbrüllt und der DJ ne Feuershow mit einem Deospray veranstaltet. Dann kommt es aber verdammt cool.

Die Überschrift dieses Beitrags ist entnommen aus „Der Mond“ von Heisskalt. Sobald irgendein DJ den Song in meiner Gegenwart spielt, wird obige Liste aktualisiert.

 

Ballsport, Brasilien und die Budweiser-Bill

Ich wollte irgendwas zur WM bloggen, über diesen ganzen FIFA-Zirkus und so. Doch dann fiel mir auf: John Oliver hat schon all das gesagt, was ich sagen will. Und der redet Englisch und kennt dich nicht mal… Schlussendlich egal, schaut es euch an:

Achja, was da jetzt nicht vorkommt ist die Situation rund um das deutsche Team. Die haben sich in ein kleines Dorf einquartiert und einen Trainingsplatz ins Naturschutzgebiet holzen lassen. Das Dorf wird von Militärpolizisten mit Gewehren bewacht, die Leute müssen sich ausweisen, um zu ihren Häusern zu kommen. Kann man hier nachlesen.

Verpackungsfrei einkaufen

Vier Millionen Tonnen Verpackungsmüll werden in Deutschland pro Jahr produziert. Ein Geschäft in Wien zeigt, dass es auch anders geht – zum Vorteil für die Kunden.

erschienen bei ZEIT ONLINE

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Uncle Ben’s, Barilla, Persil: Wer beim Einkaufen nach Reis, Nudeln oder Waschmittel sucht, findet hauptsächlich Marken. Bunte Logos prangern in großen Buchstaben auf den Kartons, Dosen und Folien. Das Produkt wird zur Nebensache; Supermarktregale sind vor allem riesige Werbeflächen.

Beim ersten Besuch wirken die Regale von „Lunzers Maß-Greißlerei“ daher irritierend leer. Die Warenauslage beschränkt sich auf zwei Regale, zwei lange Tische und eine große Theke mit Käse und Gebäck. Milchprodukte und Getränke stehen im Nebenraum. Vor allem aber werden alle Produkte ohne Verpackungen verkauft.

Eine Greißlerei ist in Österreich das, was man in Deutschland einen Tante-Emma-Laden nennt. Das Geschäft nahe des Praters in Wien besinnt sich also auf ein sehr altes Konzept, das im heutigen Einzelhandel dennoch sensationell neu wirkt. Im März erhielt das Unternehmen den Umweltpreis der Stadt Wien.

Ein radikaler Ansatz

Maß-Greißlerei-Gründerin Andrea Lunzer arbeitete früher im Marketing eines großen Discounters und beschäftigte sich dort viel mit Verpackungen. Bereits im Studium gehörten nachwachsende Rohstoffe zu Lunzers Schwerpunkten, dieses Wissen wollte sie in die Industrie tragen. „Die waren zunächst interessiert, verlangten aber nach einer schnellen Greenwashing-Lösung. Ein bisschen Bio-Plastik, und dann die grüne Flagge.“

Lunzer war das nicht genug, die 32-Jährige suchte „einen radikalen Ansatz“. Die Gelegenheit für das eigene Geschäft ergab sich zufällig, als ein Laden in ihrem Haus aufgab. Innerhalb von vier Tagen musste sie sich entscheiden. „Ich bin meinem Bauchgefühl gefolgt, viel durchgerechnet habe ich nicht.“

Lunzers Vorbild ist der „Unpackaged“-Shop in London, der bereits 2007 eröffnete und das gleiche Konzept verfolgte, bis er Anfang des Jahres schließen musste. Kürzlich hatte Lunzer wiederum drei Gründerinnen zu Besuch, die mit „Original Unverpackt“ ein ähnliches Projekt in Berlin planen und demnächst mit dem Crowdfunding beginnen möchten. Bisher fehlen aber geeignete Geschäftsräume.P1120248xe

Alle drei Unternehmen eint das Streben nach Nachhaltigkeit. Verkaufsverpackungen, vor allem aus Plastik, sind ein großes Umweltproblem. Über vier Millionen Tonnen Verpackungsmüll werden laut Statistischem Bundesamt in Deutschland pro Jahr eingesammelt. Die Herstellung der Kunststoffe verbraucht große Mengen Erdöl, Wasser und Energie.

Die Recyclingmöglichkeiten sind begrenzt, häufig werden die Plastikabfälle verbrannt oder gelangen in die Natur. Chemiekonzerne und Handelsketten setzen daher inzwischen teilweise auf Bioplastik, das etwa aus Maisstärke hergestellt wird und kompostierbar ist. Studien belegen jedoch, dass die Ökobilanz dieser Materialen nicht besser ist als die von herkömmlichem Kunststoff. Bisher löst nur Vermeidung das Plastikproblem.

Ein Nebeneffekt des verpackungsfreien Einkaufens: Die Kunden können genau die Mengen abwiegen, die sie benötigen, und müssen zu Hause weniger Reste wegwerfen.

Viele kommen ohne zu kaufen

Die Maß-Greißlerei ist inzwischen gut zwei Monate geöffnet. Gerade was frische Produkte angeht, ist das Sortiment überschaubar. Das ist gewollt: Lunzer legt Wert auf regionalen Bezug von Obst und Gemüse. Zucchini oder Tomaten sucht man Anfang April daher vergeblich. Dafür gibt es mit Mangold und Süßkartoffeln auch Sorten, die in den meisten Supermarktregalen fehlen. Alle Lebensmittel bei Lunzer sind bio-zertifiziert. Die Gründerin ist selbst auf dem elterlichen Bio-Bauernhof aufgewachsen, von wo sie nun einen Teil ihrer Waren bezieht.

Die Kundschaft der Maß-Greißlerei besteht laut Lunzer aus jungen Leuten und umweltbewussten Familien genauso wie aus „älteren Damen, die sich freuen, dass sie wieder ein einzelnes Stück Knoblauch kaufen können“. Viele Besucher würden sich alles in Ruhe ansehen, ohne zu kaufen: „Wien ist nicht New York, hier ist man sehr vorsichtig gegenüber Neuem.“ Während das verpackungsfreie Verkaufskonzept noch auf Zurückhaltung stößt, sorgt ein kleines, integriertes Café von Anfang an für Einnahmen.

Die Kunden bringen im Idealfall eigene Behälter mit, in die sie etwa Mehl, Nüsse, Gewürze und Obst füllen; bezahlt wird nach Gewicht. Alternativ liegen Papiertüten bereit. Wer möchte, kann bei Lunzer auch Vorrats- und Einmachgläser kaufen. Nur Getränke und Milchprodukte verkauft die Greißlerin in Pfandflaschen, Butter und Käse sind in Papier eingewickelt. „Überraschend viele Leute kommen mit ihren eigenen Gefäßen“, erzählt Lunzer. „Denen gehen die Verpackungen so auf die Nerven, die machen das mit Lust.“

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