Über nichts und niemanden kann man zur Zeit in Deutschland medial mehr lesen, sehen und hören als über die Piratenpartei. Wahrscheinlich haben die ganzen Hauptstadtjournalisten einfach auch keinen Bock mehr auf Pofalla, Nahles und Trittin, auf diese von PR-Beratern professionell inszenierte Politikmaschine samt Parlamentssimulation. Klar, dass die unangepassten Neulinge erst mal spannender sind. Aber was genau verbirgt sich hinter dem Phänomen Piratenpartei?

Instinktiv sind mir die Polit-Freibeuter sehr sympathisch. Das Marketing trifft meinen Geschmack („Klarmachen zum Ändern“), viele inhaltliche Positionen halte ich für richtig: Freiheit als zentrales Thema, Bürgerrechte statt Überwachungsstaat, besseres Bildungswesen… Beim Urheberrecht bin ich anderer Meinung. Jetzt heißt es aber immer die Piraten stehen gar nicht so für Inhalte, sondern vor allem für eine neue Art Politik zu machen, für einen neuen Stil. Wie schaut der aus?

Ein wesentliches Merkmal der Piratenpartei ist die basisdemokratische Organisationsstruktur. Das klingt in der Theorie total super: Jeder fühlt sich eingebunden, es gibt keine korrupte, selbstherrliche Elite. In der Praxis ist das völliger Murks. Ich bin mit Basisdemokratie beispielsweise beim Augsburger Bildungsstreik in Berührung gekommen, war eher Sympathisant als Mitstreiter, bin aber ein paar Mal beim Plenum im besetzten Hörsaal I gewesen. Der Bildungsstreik war ganz streng basisdemokratisch organisiert. Über alles wurde abgestimmt; zuerst wurde immer abgestimmt, ob denn jetzt abgestimmt werden soll. Meistens wurde dann beschlossen nicht abzustimmen sondern erst noch ein bisschen weiter zu diskutieren. Nur wird die Debattiererei ziemlich schnell ziemlich anstrengend. Man braucht verdammt viel Zeit und Elan, um diesen Mammutsitzungen regelmäßig beizuwohnen. Jetzt müssen die Piraten natürlich nicht den ganzen Tag in einem fensterlosen Hörsaal mit uringelber Innenausstattung sitzen, aber das Prinzip ist das gleiche. Nach meiner Erfahrung ziehen sich also die meisten Leute, verständlicherweise, recht bald aus solchen Gremien zurück – übrig bleibt ein paar Freaks mit oftmals radikalen Ansichten, die nicht repräsentativ sind. Die Basis in der Basisdemokratie sind halt nicht alle, sondern alle die genug Zeit, Energie und Gelegenheit für endlose Diskussionen haben. Ich glaube dass Wahlen und Parlamente letztendlich besser geeignet sind, demokratische Mitbestimmung zu ermöglichen.

Der neue politische Geschäftsführer der Piratenpartei, Johannes Ponader, hat am Tag seiner Wahl in der ARD gesagt, seine Meinung sei genauso wichtig wie die jedes anderen Parteimitglieds. Der ehemalige Parteivorsitzende Sebastian Nerz wurde während seiner Amtszeit von Parteikollegen massiv attackiert, weil er in der Öffentlichkeit seine eigene Meinung vertreten hat. Beides zeugt von einem Verständnis von Führung, mit dem ich nichts anfangen kann. Es ist nicht nur unpraktisch bis unmöglich, immer zu allem die Parteibasis zu befragen, ich halte es auch für verkehrt. Ich finde, wer Verantwortung übernimmt braucht Entscheidungsspielräume. Wer eine Führungsposition innehat muss nach seiner Überzeugung handeln, auch wenn diese nicht der Mehrheitsmeinung entspricht, schließlich steht er auch für die Konsequenzen in der Verantwortung.

Womit sich die Piraten tatsächlich positiv von den etablierten Parteien abheben: Sie bemühen sich um eine klare, ehrliche Kommunikation. Sie kommen wunderbar ohne wichtig klingende, aber nichtssagende Politikersätze aus und sprechen eine volksnahe Sprache. Das zieht sich auch durch ihr optisches Erscheinungsbild, man fühlt sich an Joschka Fischers Turnschuhauftritt im hessischen Landtag erinnert. Sascha Lobo spricht von „Protest gegen die ritualisierte Künstlichkeit der Politik“, womit er es wieder mal ziemlich gut auf den Punkt bringt.

Heute Abend wird sie dieser Protest wohl in den dritten deutschen Landtag bringen, ein Ende der Erfolgswelle ist vorerst nicht absehbar. Ein Stück weit werden sie sich den Regeln und Ritualen des Establishments anpassen. Aber vielleicht wird auch das Establishment ein bisschen wilder und piratiger.