Im Song „Kalifornia“ von den Subways heißt es:
If you see
Kalifornia
You will know it’s been
Waiting for you
Kalifornien hat auf uns gewartet? Dieses Land wartet auf niemanden. Höchstes darauf, dass wir wieder gehen. Hier sind schon längst mehr Leute, als ein Stück Wüste ertragen kann. Verkehrschaos und Zersiedelung sind brutal. Am Tag, als wir in Kalifornien ankommen, titelt die Los Angeles Times mit den Wassersparmaßnahmen, die der Gouverneur der Dürre entgegensetzen will. Manche Gemeinden sollen 35 Prozent ihres Verbrauchs einsparen. Die warten bestimmt nicht darauf, die letzten Tropfen mit uns zu teilen.
So zumindest unser erster Eindruck. Der ändert sich schnell, als wir mit den ersten Kaliforniern ins Gespräch kommen. So viel Freundlichkeit ist selbst für amerikanische Verhältnisse ungewohnt. Mit Jonathan, unserem Gastgeber in San Diego, gehen wir gleich am ersten Abend gemeinsam essen. Händler beraten uns auch eine Viertelstunde nach Ladenschluss in aller Ruhe. Im Asia-Supermarkt erklärt uns eine Miteinkäuferin ausführlich die verschiedenen Knollen und gibt Tipps zur Zubereitung von Purple Yam, einer Art Süßkartoffel (es funktioniert und schmeckt hervorragend).
Die coolste Szene ereignet sich auf dem Sunset Boulevard in Hollywood: An der Ampel hält ein Auto neben unserem. Durch die offenen Fenster ruft der Fahrer: Schau, wie nah wir sind, wir können uns die Hand geben! Lachend schlagen wir unsere Fäuste gegeneinander. Dann schaltet die Ampel auf grün.
Überhaupt haben wir in Los Angeles eine gute Zeit. Im Staples Center sehen wir die Dallas Mavericks mit Dirk Nowitzki gegen die Lakers gewinnen. Beim Wandern durch die Hollywood Hills sammeln wir wilden Salbei, der bis nach Kanada unsere Backpacker-Mahlzeiten aufbessern wird. Am Santa Monica State Beach (gibt es in Deutschland eigentlich Bundesstrände?) ist das Baden umsonst – wenn auch im April sehr kalt – das Wohnen nicht ganz: Die Einzimmerwohnung liegt in Santa Monica bei 4000 Dollar monatlich, erzählt ein Anwohner.
In einem Club namens The Smell erleben wir ein unglaublich verrücktes Konzert. Der Laden liegt in einer schmalen, dunklen Gasse. Am Eingang hängt ein Schild: „No Alcohol“. Dahinter stinkt es nach Pisse. Es sind etwa fünfzig Leute im Raum. Ein paar trinken Wasser; die meisten stehen nur da und hören zu. Femoral aus Austin, Texas, machen furchtbaren Lärm. Ihr Sound ist so laut, so verzerrt, so unmelodisch, man möchte sofort wieder gehen – bewegt sich aus Neugierde aber doch nach vorne. Und ist fasziniert. Da spielen drei Jungs nicht auf, sondern vor der leeren Bühne. Der Bassist steht mit geschlossenen Augen an der Wand. Der Gitarrist trägt Moustache und dunkle lange Haare und brüllt Unverständliches in sein Mikrofon. Beide wirken ziemlich abgedreht. Die Sensation aber ist der Drummer: Bis auf spitze Lederstiefel ist sein Äußeres unauffällig. Er sitzt mit dem Rücken zum Publikum vor einem minimalistischen Schlagzeug, auf das er einprügelt wie Obelix auf einen römischen Legionär. Seine schnellen 16tel wirken völlig planlos, ergeben mit dem wilden Geschrammel und Gebrüll der Kollegen aber doch so etwas wie Musik. Songstrukturen sind nicht erkennbar, ab und zu scheint aber ein Stück zu enden. Die Saiteninstrumente beginnen dann ein neues, während der Trommler aufsteht und völlig verschwitzt und atemlos durchs Publikum nach hinten taumelt. Unvermittelt stürzt er nach vorne, nimmt Platz und knüppelt weiter. Die Ansage am Ende: „Thank you for supporting us in our mission of yelling at people.“
https://youtu.be/3QnIuFue5sk
Nach diesen Erlebnissen haben wir trotzdem genug von Großstadt. Schließlich sind wir inzwischen von leather tramps zu rubber tramps (die Unterscheidung habe ich bei Jon Krakauer gelesen) aufgestiegen, haben also Autoreifen statt Wanderstiefeln unter den Füßen. Wir sind bereit, die große Weite des amerikanischen Westens zu erkunden.
Erstmal halten wir uns an den Pazifik. Die Küstenstraße ist schmal und kurvig. Wirklich voran kommen wir nicht – zumal immer wieder ein unterhalb der Klippen gelegener Strand einen Zwischenstopp erfordert. Zum Beispiel der Sanddollar Beach, ein Streifen aus weißem Sand zwischen zwei nach vorne ragenden Felswänden. Oder der Pfeiffer Beach, durch den ein solcher Wind weht, dass einem die Sandkörner wie Geschosse gegen die Waden schlagen. Solche Stopps lassen uns für die 600 Kilometer bis San Francisco volle drei Tage brauchen.
Die Ankunft in Frisco ist kompliziert. Wir haben der Aussage unserer Airbnb-Gastgeberin vertraut, zwei Straßen von ihrer Wohnung könne man frei parken. Das erweist sich als Unsinn – man kann hier nirgendwo frei parken. Wir stellen unseren Ford also für 50 Dollar zwei Tage ins Parkhaus. Um dann von besagter Gastgeberin versetzt zu werden: Die Hausverwaltung hat mitbekommen, dass Roxanne ihre Wohnung vertragswidrig untervermietet. Wir nehmen also das, was kurzfristig (es wird gerade dunkel) an Hostelzimmern noch zu haben ist. Dieser unglückliche Start vermiest uns San Francisco etwas. Nach eineinhalb unspektakulären Tagen sind wir weg.
Im Yosemite Valley wandern wir zu den gleichnamigen Wasserfällen (Nach einigen Monaten in Neuseeland dachte ich, Wasserfälle kriegen mich nicht mehr. Aber der ist besonders: Das Wasser fließt nicht gleichmäßig hinab, sondern fällt in Schwaden aus dem Fels, die dann langsam zerfallen). Wir zelten abends mit dutzenden Kletterern unter den Granitwänden, wo die Huberbuam ihre Speedkletter-Höchstleistungen erzielt haben.
Letzte Station in Kalifornien ist der Redwood National Park. Undurchdringlicher Regenwald: Farne, Moose, Dornensträucher und gigantische Bäume, auf deren Querschnitt mehrere Zelte Platz hätten. Die Redwoods ragen hundert Meter in den Himmel oder liegen nach ihrem Tod wie riesige Mikado-Stäbchen kreuz und quer übereinander. Manchmal kracht und ächzt es beunruhigend in den Kronen über uns. Am Ende der Dschungelwanderung stehen wir direkt am Pazifik, zelten abends am Strand und grillen Tortillas über dem Feuer.
https://youtu.be/fvTSCamXpNw