Lange haben wir nach der richtigen Form für dieses Lied gesucht. Ein Lied über das Reisen, über das Feiern, über Euphorie auf der Bühne und über gute Zeiten mit guten Freunden. Jetzt haben sich Max und Marko einfach in die untergehende Sonne gesetzt und das Ding akustisch eingespielt. Ich habe sie dabei gefilmt.
Gerade bin ich mit den Jungs von Plan B im Steigerwald. Wir haben uns dort ein Haus gemietet, um eine Woche intensiv am neuen Album zu arbeiten. Passend dazu haben wir jetzt auch einen kleinen Film am Start, der das Bandcamp vom letzten Jahr dokumentiert.
Zurück von vier Wochen unterwegs in Südosteuropa, habe ich endlich wieder Zeit den ganzen Tag im Internet rumzuhängen. Auf dem Blog von Martin Giesler fand ich einen tollen Vortrag, den Aral Balkan im April gehalten hat.
Der Titel „Free is a Lie“ bezieht sich darauf, dass die Gratis-Dienste, die Google, Facebook und andere anbieten, mt einem verdammt hohen Preis verbunden seien: dem Verlust unserer Privatsphäre, Menschenrechte und Freiheit. Anders gesagt: Wenn du für einen Dienst nicht bezahlst, bist du nicht der Kunde, sondern das Produkt. Wer moderne Technologie nutzen möchte, komme um dieses Geschäftsmodell, das Dienste gegen Daten tauscht, nicht herum.
Der Ausweg daraus ist für Balkan politisch-gesellschaftlich, aber auch technisch-designerisch zu suchen. Mit Letzterem meint er die Entwicklung von Software, die offen ist und die Privatsphäre wahrt. Teilweise gibt es ja Alternativen – etwa den Messenger Threema (und andere) oder Mailprovider wie Posteo – aber das Problem, so Balkan, ist das diese in Punkto Nutzerfreundlichkeit oft bei weitem nicht an die Angebote der Valley-Konzerne herankämen. Als Beispiel nennt er das Handy-Betriebssystem Firefox OS.
Balkan hat recht: Viele alternative Dienste sind umständlich zu bedienen und/oder schlecht gestaltet. Auch Posteo hat mich einige Einrichtungszeit gekostet, bis es auf allen Geräten lief und vernünftig konfiguriert war. Und der Webmailer ist immer noch hässlich, unpraktisch und nicht mobile-friendly. Ich verstehe, dass die wenigsten Leute bereit sind, diesen Aufwand und Qualitätsverlust gegenüber Gmail und Co in Kauf zu nehmen.
Es gibt aber noch einen anderen wichtigen Punkt: Wer auf die Datensammelei verzichtet, braucht eine andere Einnahmequelle. Die meisten Alternativ-Dienste kosten daher Geld. Meistens ist das nicht viel – bei Posteo beispielsweise einen Euro im Monat. Aber es kostet. Und wer ist bereit, für etwas zu bezahlen, was er auch umsonst haben kann? Als ich nach der WhatsApp-Übernahme durch Facebook in meinem Bekanntenkreis für Threema geworben habe, musste ich feststellen: fast niemand. Threema kostet einmalig 1,60 Euro.
Solange diese Alternativen aber ein Nischenprodukt bleiben, werden sie auch nicht die Ressourcen haben, um qualitativ mit den Netzkonzernen gleichzuziehen. Ein Dilemma. Zumindest, solange das Bewusstsein für Privatsphäre und Freiheit im Netz so gering ist.
Balkan kann über dieses Thema nicht nur hervorragend reden, er will auch was tun: Mit einem kleinen Team arbeitet er an dem sozialen Netzwerk „Heartbeat“ und einem „Indie Phone“ inklusive eigenem Betriebssystem. Ich bin gespannt, was da kommt.
Weiterführende Links zu im Vortrag angesprochenen Themen
Ich wollte irgendwas zur WM bloggen, über diesen ganzen FIFA-Zirkus und so. Doch dann fiel mir auf: John Oliver hat schon all das gesagt, was ich sagen will. Und der redet Englisch und kennt dich nicht mal… Schlussendlich egal, schaut es euch an:
Achja, was da jetzt nicht vorkommt ist die Situation rund um das deutsche Team. Die haben sich in ein kleines Dorf einquartiert und einen Trainingsplatz ins Naturschutzgebiet holzen lassen. Das Dorf wird von Militärpolizisten mit Gewehren bewacht, die Leute müssen sich ausweisen, um zu ihren Häusern zu kommen. Kann man hier nachlesen.
Ich habe mich heute geärgert. Nicht nur wegen dem Geld, das ich an der Kinokasse für die enttäuschende Dokumentation „Bottled Life – Das Geschäft mit dem Wasser“ gezahlt habe. Sondern vor allem wegen der verschenkten Chance, sich über neunzig Minuten mit einem komplexen und brisanten Thema auseinanderzusetzen. Stattdessen schien der Film vor allem dafür gemacht zu sein, die zur Genüge vorhanden Nestlé-Feinde ihn ihrem Weltbild zu bestätigen.
Eine gesunde Skepsis gegenüber dem größten Nahrungsproduzenten der Welt ist sicher nicht verkehrt. Aber das Problem der zunehmenden Wasserknappheit in vielen Entwicklungsländern nahezu allein dem Schweizer Unternehmen anzulasten, ist schon etwas gewagt. Wenn man das tut, sollte man zumindest ein paar handfeste Fakten an der Hand haben, um die Behauptung zu stützen.
Das Grunddilemma: In ganz vielen Ländern der Welt funktioniert die öffentliche Wasserversorgung nicht wirklich. Das Wasser kommt nicht zuverlässig oder ist ungenießbar. Auf einer Reise über den Balkan nach Istanbul konnte ich kürzlich selbst erleben, wie die Wasserqualität von West nach Ost immer weiter abnimmt. In Istanbul schließlich kommt kein Mensch mehr auf die Idee, das Leitungswasser zu trinken. Selbst von einer Verwendung zum Kochen raten dort viele ab. Das führt zu einer absurden Doppel- und Dreifach-Infrastruktur, die Wasser nicht nur über Leitungen und unzählige Kioske bereitstellt, sondern auch über ein Heer an LKWs, das die Haushalte mit 20-Liter-Kanistern versorgt, die in einem Tauschsystem voll angeliefert und leer wieder abgeholt werden. In den schmalen Gassen des Altstadtviertels Beyoglu ist das Irrsinn. Nun ist es bestimmt kein Kinderspiel, eine Megastadt wie Istanbul oder, um die Beispiele aus „Bottled Life“ zu nennen, Lagos und Lahore, mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Aber, das hat mir meine Zeit am Bosporus gezeigt, man würde sich einen gigantischen Aufwand sparen.
Jedenfalls ist es nun so, dass die Lücke, die Staat und Kommunen durch die fehlende oder unbrauchbare Wasserversorgung hinterlassen, von privaten Unternehmen wie Nestlé gefüllt wird. Prinzipiell gar keine so schlechte Idee; nur dass Produkte wie das Nestlé-Wasser „Pure Life“ für die unteren Schichten der betroffenen Länder unbezahlbar sind, und für die gigantischen Abfüllanlagen so viel abgepumpt wird, dass der Grundwasserspiegel weit absinkt und die Brunnen der Bevölkerung versiegen.
Der Film bringt ziemlich bald ein haarsträubendes Zitat des Nestlé-Verwaltungsratschefs Peter Brabeck:
Es geht darum, ob wir die normale Wasserversorgung der Bevölkerung privatisieren oder nicht. Und da gibt es zwei verschiedene Anschauungen: Die eine Anschauung – extrem würde ich sagen – wird von einigen, von den NGOs vertreten, die darauf pochen, dass Wasser zu einem öffentlichen Recht erklärt wird. Das heißt: Als Mensch sollten Sie einfach Recht haben, um Wasser zu haben. Das ist die eine Extremlösung. Die andere sagt: Wasser ist ein Lebensmittel. Und so wie jedes andere Lebensmittel sollte es einen Marktwert haben.
Diese Sätze sprechen für sich. Doch später lassen die Macher von „Bottled Life“ Brabeck immer wieder Dinge sagen, die weniger offensichtlich daneben sind. Mit diesen Aussagen hätte man sich auseinandersetzen müssen. Zum Beispiel wenn er den Wassermangel in armen Ländern auf Golfplätze und Swimmingpools schiebt. Neben der Zahl der Golf spielenden Nestlé-Manager wäre hier interessant, ob solche Luxusverwendungen wirklich einen nennenswerten Teil zum Problem beitragen, oder nicht. Doch Regisseur Urs Schnell und Rechercheur Res Gehriger interessieren solche Fragen nicht. Die wollen nur ihre Botschaft loswerden: Der böse Nestlé-Konzern nimmt den armen Menschen das Wasser weg. Man ahnt, dass das sicherlich irgendwie stimmt, aber man würde es an vielen Stellen im Film gern genauer wissen. Und man würde gern mehr darüber erfahren, welche Gründe noch eine Rolle spielen. Staatliche Misswirtschaft gehört ganz bestimmt dazu. Sie macht das Geschäftsmodell, armen Menschen abgefülltes Wasser für viel Geld zu verkaufen, erst möglich. Auch der Klimawandel kann nicht ganz unschuldig sein. Was ist mit intensiver Landwirtschaft? Was mit zunehmender Bodenversiegelung? Mit rivalisierenden Staaten, die sich um Flüsse streiten? Doch statt sich dem Thema von mehreren Seiten zu nähern und so zumindest zu versuchen, seiner Komplexität annähernd gerecht zu werden, lässt der Film ein paar Frauen aus einer Kleinstadt in Maine immer wieder in sehr ähnlichen Worten sagen, dass man Nestlé stoppen müsse. Warum überhaupt ein großer Teil des Films dort gedreht wurde, in diesem grünen US-Bundesstaat an der Ostküste, in dem sich durchschnittlich 14 Menschen pro Quadratkilometer die nicht gerade knappen Grundwasservorräte teilen, bleibt unklar. Auch optisch überzeugt der Film nur manchmal; etwa wenn er von der braunen, von Müll und Kadavern verseuchten Kloake eines auf Pfählen gebauten Slums in Lagos überblendet auf das tiefblaue Wasser des Genfer Sees, auf dem friedlich ein paar Schwäne schwimmen und an dessen Ufer der Hauptsitz von Nestlé liegt. Aber wenn Gehriger mehrmals mit entschlossenem Blick am Computer zu sehen ist oder zum Schluss bei einer Wanderung in irgendeinem Gebirge, von dem man nicht mal erfährt auf welchem Kontinent es liegt, ist das ziemlich verzichtbar.
Unverzichtbar ist es trotzdem, sich mit dem Problem der globalen Wasserknappheit zu befassen. Denn einer der wenigen handfesten Fakten des Films ist, dass die Slumbewohner von Lagos oft mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Trinkwasser ausgeben – und dennoch keines von solcher Qualität bekommen, dass ihre Kinder nicht mehr krank würden. Darüber würde man gern mal einen guten Film sehen.
Am Sonntag fand in Spa der Grand Prix von Belgien statt. Kurz bevor Sebastian Vettel nach dem Rennen das Siegerpodest betrat und die deutsche Nationalhymne anlief, wurde die Inszenierung von einem kleinen Banner gestört, dass sich gut sichtbar zwischen Fahrer und Fernsehkameras schob. Auf dem Banner war das Logo des Ölkonzerns Shell zu sehen, wobei die linke Hälfte durch einen Eisbärenkopf ersetzt war, dazu der Schriftzug „Save the arctic“. Als ein Sicherheitsmann gerade das Banner entfernt hat, wird ein paar Meter daneben ein zweites ausgerollt. Die Greenpeace-Aktion auf Video:
Hintergrund der Greenpeace-Protestaktion sind die Bestrebungen von Shell, in der Arktis nach Öl und Gas zu bohren. Das ist eine ziemlich perfide Angelegenheit: Durch die Verbrennung von Öl (und Gas) schmilzt das Eis der Arktis, dadurch werden bisher unerschließbare Ölvorkommen zugänglich, durch deren Verbrennung sich die Erde weiter erwärmt. Umweltschützer lehnen die Bohrungen in der Arktis mit zwei Argumenten ab: Zum einen sind die Förderbedingungen sehr schwierig, was die Gefahr von Unfällen erhöht. Zum anderen ist die Arktis ein besonders empfindliches Öksoystem, die Umweltschäden von Unfällen wären also immens. Und im Vergleich zum Golf von Mexiko, wo Bakterien das ausgetretene Öl nach der Deepwater Horizon-Explosion vergleichsweise schnell abgebaut haben (bei dennoch gigantischen Umwelschäden), würden diese Prozesse im Nordpolarmeer deutlich langsamer ablaufen.
Als ich neulich für jetzt.de mit jungen Menschen über ihre Einstellung zu Bio-Lebensmitteln sprach, machte mich einer meiner Gesprächspartner auf den Film „La Surconsommation“ aufmerksam. Es ist in etwa das Verstörendste, was ich je gesehen habe.
Der Film zeigt im Zeitraffer verschiedene Szenen aus der Fleischindustrie. Eine Art Erntemaschine, die Hühner auf ein Fließband saugt. Fließbandarbeiter, die Geflügel zerlegen. Wundgescheuerte, bewungsunfähige Muttersäue beim Säugen ihrer Ferkel. Eine Kassiererin, die abgepacktes Fleisch über den Scanner zieht. Dazu spielen leise Trommeln, eine Frauenstimme singt. Es wird kein Wort gesprochen, kein Buchstabe eingeblendet. Untermalt von dezenter Musik, sprechen die Bilder für sich.
Vielleicht müsste ich hier jetzt hinschreiben: Bitte schaut euch den Film nur an, wenn ihr ganz starke Nerven habt. Aber im Supermarkt gibt es ja auch keine Schilder, auf denen steht „Kaufen Sie dieses viel zu billige Schnitzel nur, wenn Sie bereit sind, dafür Tierquälerei in Kauf zu nehmen“. Zur Debatte um einen Veggie Day sage ich: Esst was ihr wollt, aber seht bitte der Realität ins Gesicht.
Update 07.09.2013: Das ursprünglich eingebaute Video wurde inzwischen offenbar gelöscht. Ich habe es durch eine andere Version ersetzt, mal sehen, wie lang das hält.
Heute gastiert wieder die EOFT, die European Outdoor Film Tour, in Augsburg. Dort werden verschiedene Kurzfilme im Zusammenhang mit Outdoor-Sport gezeigt, queerbeet von Kanutouren auf dem Kongo über Klettern im Yosemite bis zum Extremwandern in der Arktis. Man muss diese Veranstaltung sicher kritisch sehen, weil einige Protagonisten Wildnis mit Disneyland verwechseln und unverantworlich mit der Natur umgehen. Ich gehe trotzdem gerne hin, weil mir die Filme eine ungeheure Motivation zum eigenen Aufbruch ins Abenteuer geben. Aber für mich ist Outdoor-Begeisterung untrennbar mit Umweltbewusstsein verbunden. Wer die awesoness des Planeten zwischendurch intensiv erlebt, kann seiner Zerstörung nicht tatenlos zusehen. In diesem Zusammenhang gab es auf der EOFT 2011 einen genialen Film, der sich auf satirische Weise einem unterschätzten Problem widmet: The Majestic Plastic Bag.
Seit dem Beginn der großindustriellen Verarbeitung von Erdöl zu Kunststoffen in den 1950er Jahren ist die Weltproduktion im Schnitt um 9% pro Jahr gewachsen und lag 2009 bei 230 Millionen Tonnen. Dieses Plastik hat sich inzwischen auf die gesamte Erdoberfläche verteilt. Man findet es nicht nur im Lebensraum des Menschen, sondern auch in Wüsten und Ozeanen. Das ist nicht spektakulär und medienwirksam wie die Explosion einer Bohrinsel, aber mindestens genauso dramatisch. Bei einer großangelegten Untersuchung europäischer Strände wurden im Schnitt 540 Abfallteile auf 100m Strand gefunden. Im Nordpazfik gibt es eine gigantische Ansammlung von Abfällen, den Great Pacific Garbage Patch. 89% des Mülls besteht aus Kunststoff. Die UN geht davon aus, dass dort auf ein Kilo Plankton sechs Kilo Plastik kommen. Die verschiedenen Studien über die Ausdehnung des Müllteppichs weichen sehr stark voneinander ab. Selbst dem sehr zurückhaltenden Team von der Oregon State University ist es jedoch eine Erwähnung wert, dass „Teile des Pazfiks weitgehend frei von Plastik sind“. Sensationell: In einer Gegend irgendwo zwischen Chile und den Osterinseln haben sie sogar gar keine Kunststoffe gefunden. Der Pazifik hat eine größere Fläche als die gesamte Landmasse der Erde. Wenn es schon eine wissenschaftliche Meldung wert ist, dass wir die Meere noch nicht flächendeckend zugemüllt haben, läuft irgendwas verdammt falsch.
Plastik wird nur sehr, sehr langsam biologisch abgebaut. Unter Einwirkung von Sonnenlicht zerfällt der Müll jedoch in kleine Teile, die von Fischen, Meeressäugetieren und Seevögeln gefressen werden. Was sie dort anstellen, kann man in einem TED Talk von Captain Moore sehen. Giftige Bestandteile reichern sich über die Nahrungskette an und bedrohen auch das Raubtier Mensch an dessen Ende.
Wie kommt das Plastik ins Meer? Man nimmt an, dass etwa vier Fünftel über Flüsse eingebracht werden, der Rest stammt von Schiffen. 1992 verlor ein Containerschiff in einem Sturm vor Hongkong 29 000 Badeenten, die sich in den nächsten Jahren über alle Weltmeere verteilten. Ich war, und damit sind wir wieder bei Outdoor-Abenteuern, vor einigen Jahren in einer sehr, sehr abgelegenen Gegend von Neuseeland unterwegs, in Fiordland. Ein traumhaft schöner, nahezu unberührter Regenwald am Ende der Welt. Am siebten Tag der Tour stiegen wir auf eine Hochebene, wo wir in einen Sturm gerieten. Ich hatte meine Abfälle der ganzen Woche – vor allem die Verpackungen unzähliger Müsliriegel und Nussmischungen -außen am Rucksack befestigt. Der Sturm riss die Mülltüte weg und der Kram verteilte sich in kürzester Zeit über das ganze Tal. Der Gedanke daran verursacht mir immer noch ein Ziehen in der Magengegend.
Ein beachtlicher Teil der produzierten Kunststoffe wird immer in die Natur gelangen. Was hilft, ist Vermeidung. In der EU wird erwogen, die kostenlose Abgabe von Plastiktüten zu verbieten. In San Francisco, Los Angeles und ganz China ist das bereits geschehen. Wir müssen unser gesamtes Konsumverhalten auf hochwertige, langlebige Produkte ausrichten. Befreien wir uns von diesem ganzen unnötigen Plastikschrott.
Es gibt ein Buch, das mich als Teenager sehr begeisterte und mein Weltbild entscheidend geprägt hat. In der Annahme, dass meine damalige Begeisterung viel mit jugendlicher Naivität zu tun hatte, habe ich das Buch kürzlich nochmal gelesen. Vielleicht bin ich immer noch naiv, aber der Text hat mich erneut begeistert und inspiriert.
Es geht um „CULTURE JAMMING. Das Manifest der Anti-Werbung“. Kalle Lasn, der Autor, wurde in Estland geboren und lebt inzwischen in Vancouver. Er ist Begründer des Adbusters Magazine und einer der führenden Köpfe von Occupy Wallstreet. Das zentrale Thema dieses sehr wütenden Buchs ist der Konsumkapitalismus, der uns einer ständigen Gehirnwäsche namens Werbung unterzieht und den Planeten vor die Hunde bringt. So fängt es an:
„Das Buch, das Sie in der Hand halten, hat eine Mission, der Sie zunächst einmal instinktiv misstrauen werden. Die Botschaft lautet: Wir können die Welt verändern. Ein gewagtes Versprechen in unserer Zeit, denn es klingt wie ein sinnloser Werbeslogan, wie eine Platitüde aus dem „Weck den Tiger in dir“-Regal.“
Lasn beschreibt, wie die Macht der Konzerne im letzten Jahrhundert unheimliche Ausnahme erreicht hat und längst die Macht der Menschen übersteigt, die sie geschaffen haben. Er schildert die Manipulation, die omnipräsente Werbung, Sponsoring und Product Placement in unseren Gedanken erzeugt haben. Er thematisiert die Auswirkungen dieser Konsummaschinerie auf die Umwelt und auf unsere Psyche. Lasn benennt nicht nur Probleme, er ruft zum Kampf auf:
„Culture Jamming bezeichnet eine subversive kulturelle Praxis, eine Rebellion gegen die Inbesitznahme öffentlicher Räume durch Industrie und Kommerz. Culture Jamming versteht sich als Sand im Getriebe der alles verheißenden und nichts erfüllenden Werbeindustrie.“
Lasn selbst führt diesen Kampf mit seiner Adbusting Media Foundation durch professionelle Anti-Werbung: Die Symbolik der Werbung wird kopiert, aber die Bedeutung umgekehrt. Man sieht dann zum Beispiel Joe Camel, das Kamel der Camel-Werbung, umgetauft als Joe Chemo auf der Krebsstation liegen. Ein schönes Beispiel ist auch dieser Greenpeace-Spot:
CULTURE JAMMING ist eine gute Grundlage, um darüber zu diskutieren wie eine bessere Welt aussehen könnte. Ich versuche mal, den Kern des Problems aus meiner Sicht zu beschreiben.
Es gibt eine gigantische Machtverschiebung von demokratisch gewählten Regierungen zu kapitalgesteuerten Konzernen. Unter den 100 größten Wirtschaftsmächten der Erde sind 43 Unternehmen. Spätestens die Finanzkrise 2008 ff hat gezeigt, wer die Zügel in der Hand hält. Systemrelevant und alternativlos sind die Unwörter der Epoche und zeigen, dass die Staaten dem Wirtschaftsgeschehen ziemlich hilflos gegenüber stehen. Die Gipfeltreffen im Namen von G8, EU et cetera haben längst nur psychologische Bedeutung zur Beruhigung der wild gewordenen Kräfte des Marktes. Wurde bei der Mondlandung 1969 noch die Flagge der Vereinigten Staaten gehisst, stand bei Baumgartners Stratosphärensprung alles im Zeichen des Red-Bull-Logos. Wir sind inzwischen pausenlos mehr oder weniger subtilen Werbebotschaften ausgesetzt. Neben herkömmliche Werbekonzepte wie Plakattafeln und Anzeigen in Magazinen sind alle möglichen neuen Kanäle getreten, die uns beinahe pausenlos bearbeiten. Das Werbebanner auf Spiegel Online, gekaufte Beiträge auf Facebook, das auf Augenhöge angebrachte Poster über dem Pissoir, die geschickt plazierten Produkte in Skyfall, das Markenlogo auf dem Shirt deines Kumpels, das kleine Schild auf den Monitorboxen bei Rock am Ring. Keiner weiß genau, was dieses Dauerbombardement in unseren Köpfen anstellt, aber wenn es keine Wirkung hätte, würde die Wirtschaft dafür keine Milliardenbeträge ausgeben. Allein ein 30-Sekunden-Spot während der Übetragung des Super Bowl 2011 kostete drei Millionen Dollar.
Diese Manipulation für sich genommen könnte man als zwar nervig, aber nicht weiter bedrohlich ansehen. Aber: Die Aktivitäten der Konsumindustrie haben handfeste ökologische und soziale Auswirkungen. Was wir als Wirtschaftswachstum bezeichnen, ist nichts anderes als die großangelegte Vernichtung von Ökosystemen. Zur Befriedigung unseres Mobilitätsbedürfnisses veranstalten die Erdölkonzerne etwa im Nigerdelta ein ökologisches Desaster und zerstören die Lebensgrundlage der Bevölkerung. Die Rohstoffe für unsere Handys und Notebooks werden teilweise von Kindersklaven gefördert. Der Produktion der 30.000 Tonnen Fleisch, die McDonald’s allein in Deutschland jedes Jahr verbrät, fallen nach wie vor Regenwälder zum Opfer. Die mit einem ziemlich postiven Image gesegneten Hersteller von Outdoor-Kleidung verarbeiten laut einer neuen Studie eine Menge giftiger Chemikalien.
Wir werden zur Bestreitung unseres Lebens immer gewisse Güter verbrauchen. Das System des Konsumkapitalismus ist jedoch darauf ausgelegt, dass wir unseren Verbrauch maximieren, ohne Rücksicht auf die ökologischen und sozialen Folgen.
Wenn man sich mit den oben angeschnittenen und weiteren Themen beschäftigt, entwickelt man Wut. Diese Wut kann man kanalisieren und in positive Energie umwandeln, um die von den Konzernen geschaffene Kultur zu jammen. Dazu braucht es keine aufwendigen Adbusting-Kampagnen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich der Gleichschaltung des Kaufens zu widersetzen. Anfangen könnte man zum Beispiel mit einer Demaskierung von Red Bull. Zuerst brauchen wir eine neue Definition von Coolness. Längst gibt uns die Industrie vor, was es bedeutet cool zu sein. Ich bin für Individualitität, Kreativität und Spontanität als Säulen einer neuen Coolness, die man nicht kaufen kann. Ich habe Bock auf ein bisschen Revolution. Wer ist dabei? Meldet euch.
Wir sind Idealisten, Anarchisten, Guerillataktiker, Schwindler, Witzbolde, Maschinenstürmer der Neuzeit, Nörgler und Punks. Wir sind der pöbelnde Überrest einer Gegenkultur. Was uns verbindet, ist eine grenzenlose Wut gegen den Konsumkapitalismus und das Gefühl, dass die Zeit gekommen ist, um gemeinsam zu handeln.
Kalle Lasn: Culture Jamming. Das Manifest der Anti-Werbung. orange press 2006
Klaus Werner-Lobo und Hans Weiss: Das neue Schwarzbuch Markenfirmen. Ullstein 2010