Im Zweifel für den Zweifel: Warum ich kein Problem damit habe, zur Generation Jein zu gehören.
Junge Leute seien “Wischiwaschis”, schreibt Eva Berendsen in der FAZ. Eine Generation von Jein-Sagern, die nur reflektiere, aber sich nicht entscheiden könne. Gegen diese Pauschalisierung wehrt sich Teresa Fries auf jetzt.de und erwidert: Doch, wir können uns entscheiden!
Die Frage ist: Warum sollten wir? Eine Entscheidung auf zwei mögliche Antworten zu reduzieren, das funktioniert vielleicht bei einer Meinungsumfrage auf Bild.de, macht sonst aber selten Sinn. Die Wahrheit liegt meistens irgendwo dazwischen. Und genau das bringt der Begriff Jein zum Ausdruck.
Berendsens Ruf nach klaren Entscheidungen ist ein Relikt aus der bipolaren Welt des 20. Jahrhunderts. West gegen Ost, Beatles gegen Stones, Pepsi gegen Coca-Cola, Arnold Schwarzenegger gegen das Böse: Das letzte Jahrhundert war voll von solchen Duellen. Und es war wichtig zu wissen, auf welcher Seite man steht. Zum Glück haben wir dieses Denkmuster überwunden.
Wenn wir “jungen Leute” uns mit einem Thema befassen, haben wir meistens nach zwei, drei Klicks eine so ungeheure Masse an Informationen darüber zur Verfügung, dass das Thema zwangsläufig zu kompliziert wird, um sich zu hundert Prozent “dafür” oder “dagegen” zu entscheiden. Wir sind fasziniert von den Apple-Produkten, wissen aber von den katastrophalen Arbeitsbedingungen bei Foxconn. Wir kämpfen gegen Rüstungsforschung an den Unis und verzweifeln am Dilemma des Dual Use, dass sich also viele Technologien sowohl zivil als auch militärisch nutzen lassen. Wir sehen keinen Sinn darin, uns auf ein Verkehrsmittel festzulegen, wenn wir vom Klapperfahrrad bis zum Campervan die volle Auswahl haben und dank Carsharing und Co für jede Fahrt aufs neue wählen können. Wir träumen von der lebenslangen Liebe – und beobachten täglich Paare, denen die jahrzehntelange Qual ihrer Ehe allzu deutlich anzumerken ist.
Unsere Generation hatte ihre erste Berührung mit Politik zur Zeit von Leuten wie Joschka Fischer und Otto Schily, die irgendwann früher mal ganz genau wussten, wofür sie stehen. Und sich im Laufe ihrer Karrieren erschreckend wenig davon bewahren konnten. Schily wandelte sich vom anarchistischen Kommunarden und RAF-Verteidiger zum sicherheitspolitischen Hardliner; Fischer vom linksradikalen Straßenkämpfer zum Aufsichtsrat für Energiekonzerne.
Mit dem simplen Ja-Sagen, damit haben wir in Deutschland nicht wirklich gute Erfahrungen gemacht. Und auf das Wort Nein lässt sich letztlich die 68er-Bewegung reduzieren, die schlicht gegen alles war – Nein zum Kapitalismus, nein zum Polizeistaat, nein zur gängigen Sexualmoral. Mit ihrer Kritik hatten sie oft recht – doch bei den ganz Konsequenten führte diese radikale Ablehnung schlussendlich zu Mord und Totschlag. Ein bisschen Jein hätte da nicht geschadet. Die Skepsis gegen alle einfachen Antworten wurde uns dadurch schon im Geschichtsunterricht in der Schule mitgegeben, und sie gehört zu den großen Errungenschaften unserer Generation. Dass wir uns so zögerlich entscheiden, bedeutet nichts anderes, als dass wir uns ungern vereinnahmen und instrumentalisieren lassen. Ím Zweifel lieber ein durch mühsames Abwägen hart erarbeitetes “Jein” als ein vorschnell von Wer-weiß-wem übernommenes Ja (oder Nein).
Natürlich haben wir Überzeugungen und stehen dafür ein. Junge Leute haben sich in letzter Zeit zum Beispiel erfolgreich gegen Atomkraft, gegen ACTA und gegen Studiengebühren eingesetzt. Für den Kampf gegen GEMA und GEZ werden wir uns auch noch was überlegen. Aber wir geben zu, diese eindeutigen Fälle sind eher die Ausnahme. Um ein Beispiel von Berendsen aufzugreifen: Natürlich machen wir uns Gedanken darüber, was wir essen wollen und was vielleicht lieber nicht. Aber zum Glück sind wir reflektiert genug, um darüber nicht gleich zu fanatisch-esoterischen Müsli-Irrlichtern zu werden wie Generationen vor uns.
Jein-Positionen und Sowohl-als-auch-Argumente sind nicht sexy. Man kann sie nicht gut auf der Straße brüllen, sie müssen umständlich erklärt werden. Auch für uns wäre es einfacher sich an einer simplen Antwort festzuhalten, als die eigene Meinung ständig zu hinterfragen und ein Stückchen zu korrigieren. Wir verzweifeln daher häufig selbst an dieser Unfähigkeit, sich für eine Seite zu entscheiden. Aber eigentlich wissen wir, dass es nur so funktioniert. Jein ist nicht gleich jein. Jein steht für das ganze Sprektrum zwischen Ja und Nein, und irgendwo inmitten dieser unbegrenzten Möglichkeiten liegt in der Regel die Wahrheit. Da ist es nur logisch, in der Mitte mit der Suche anzufangen und nicht irgendwo am Rand. “Im Zweifel für den Zweifel zu stehen”, rappt Casper und bringt damit das Mantra unserer Generation auf den Punkt. Wir wehren uns entschieden dagegen, uns entscheiden zu müssen.