Words And Numbers

Schlagwort: öko (Seite 2 von 3)

Warum Gorgonzola wichtig für die Weltrettung ist

Beim Durchblättern der Mitgliederzeitschrift von Greenpeace bin ich über einen Artikel zu veganer Ernährung gestolpert. Das Thema ist ja kein wirklich exklusives; auf Zeit Online beispielsweise gab es kürzlich eine ganze Themenwoche darüber. Ich habe also nicht wirklich erwartet, in dem halbseitigen Text auf größere Neuigkeiten zu stoßen, dafür aber auf viel Propaganda für den Verzicht auf tierische Lebensmittel. Irgendwie habe ich den Artikel dann trotzdem gelesen, und beide Erwartungen haben sich als unzutreffend erwiesen. Der Artikel enthielt tatsächlich mir unbekannte Fakten, und die sprachen auch noch gegen eine vegane Ernährung. Greenpeace zitiert Gerold Rahmann vom Thünen-Institut für ökologischen Landbau:

„Würden wir aufhören, Kühe, Schafe und Ziegen zu halten, müssten wir verstärkt Grünland zu Acker umpflügen.“

Hintergrund ist der, dass es auf der Erde wesentlich mehr Weide- als Ackerflächen gibt. Ich habe das mal bei der Welternährungsorganisation FAO nachrecherchiert. Demnach gibt es auf der Erde etwa 33,6 Millionen Hektar Wiesen und Weiden, aber nur knapp 14 Millionen Hektar Ackerland. Und was auf diesen Wiesen wächst, nämlich Gras, kann der Mensch nicht verdauen, er muss den Umweg über Wiederkäuer machen. Also Kühe, Ziegen und Schafe. In dieser Dimension, dass es weltweit mehr als doppelt soviel Weide- wie Ackerfläche gibt, war mir das neu. Die dritte Kategorie, in die landwirtschaftliche Flächen eingeteilt werden, sind sogenannte Dauerkulturen, also etwa Obstplantagen und Weinberge, die machen aber nur 1,5 Millionen Hektar aus.

Best Restaurant I've ever been. Radost in #BelgradeEin fantastisches vegetarisches Gericht: Tortillas mit Käse, Bohnen, Mais und Paprikapaste, serviert im „Radost“ in Belgrad

Man fragt sich natürlich, warum man dann nicht einfach die ganzen Weiden zu Äckern umpflügt, da fleißig Sojabohnen anpflanzt, und jeder bekommt sein Tofuschnitzel, fertig. Erstens sind grüne Wiesen viel schöner anzuschauen als staubige Äcker, auf denen ein Mähdrescher seine Runden dreht, zweitens wesentlich artenreicher und drittens als CO2-Senken wichtig für den Klimaschutz. Und dann gibt es viertens Wiesen wie die Almen in den Allgäuer Alpen, wo keine Landmaschine so gut hinkommt wie die gute, alte, braun-weiß gefleckte Milchkuh. Wobei Farbe und Musterung des Felles bei näherer Überlegung damit nicht so viel zu tun haben. Glaube ich zumindest. Landwirtschaftliche Flächen weltweit

Ich persönlich kann auf Fleisch super verzichten, komme aber ganz schlecht ohne Milch und Käse aus – also möglicherweise ist das hier nur ein klassischer Fall von „Jeder sucht sich die Fakten raus, die ihm am besten passen“. Und grundsätzlich ist es ja total vorbildlich, sich vegan zu ernähren. Aber als Konzept für die Welternährung ist es, das zeigen diese Zahlen, nicht unbedingt der (einzige) goldene Weg.

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Eine verschenkte Chance: Der Film „Bottled Life“

Ich habe mich heute geärgert. Nicht nur wegen dem Geld, das ich an der Kinokasse für die enttäuschende Dokumentation „Bottled Life – Das Geschäft mit dem Wasser“ gezahlt habe. Sondern vor allem wegen der verschenkten Chance, sich über neunzig Minuten mit einem komplexen und brisanten Thema auseinanderzusetzen. Stattdessen schien der Film vor allem dafür gemacht zu sein, die zur Genüge vorhanden Nestlé-Feinde ihn ihrem Weltbild zu bestätigen.

Eine gesunde Skepsis gegenüber dem größten Nahrungsproduzenten der Welt ist sicher nicht verkehrt. Aber das Problem der zunehmenden Wasserknappheit in vielen Entwicklungsländern nahezu allein dem Schweizer Unternehmen anzulasten, ist schon etwas gewagt. Wenn man das tut, sollte man zumindest ein paar handfeste Fakten an der Hand haben, um die Behauptung zu stützen.

Das Grunddilemma: In ganz vielen Ländern der Welt funktioniert die öffentliche Wasserversorgung nicht wirklich. Das Wasser kommt nicht zuverlässig oder ist ungenießbar. Auf einer Reise über den Balkan nach Istanbul konnte ich kürzlich selbst erleben, wie die Wasserqualität von West nach Ost immer weiter abnimmt. In Istanbul schließlich kommt kein Mensch mehr auf die Idee, das Leitungswasser zu trinken. Selbst von einer Verwendung zum Kochen raten dort viele ab. Das führt zu einer absurden Doppel- und Dreifach-Infrastruktur, die Wasser nicht nur über Leitungen und unzählige Kioske bereitstellt, sondern auch über ein Heer an LKWs, das die Haushalte mit 20-Liter-Kanistern versorgt, die in einem Tauschsystem voll angeliefert und leer wieder abgeholt werden. In den schmalen Gassen des Altstadtviertels Beyoglu ist das Irrsinn. Nun ist es bestimmt kein Kinderspiel, eine Megastadt wie Istanbul oder, um die Beispiele aus „Bottled Life“ zu nennen, Lagos und Lahore, mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Aber, das hat mir meine Zeit am Bosporus gezeigt, man würde sich einen gigantischen Aufwand sparen.

Jedenfalls ist es nun so, dass die Lücke, die Staat und Kommunen durch die fehlende oder unbrauchbare Wasserversorgung hinterlassen, von privaten Unternehmen wie Nestlé gefüllt wird. Prinzipiell gar keine so schlechte Idee; nur dass Produkte wie das Nestlé-Wasser „Pure Life“ für die unteren Schichten der betroffenen Länder unbezahlbar sind, und für die gigantischen Abfüllanlagen so viel abgepumpt wird, dass der Grundwasserspiegel weit absinkt und die Brunnen der Bevölkerung versiegen.

Der Film bringt ziemlich bald ein haarsträubendes Zitat des Nestlé-Verwaltungsratschefs Peter Brabeck:

Es geht darum, ob wir die normale Wasserversorgung der Bevölkerung privatisieren oder nicht. Und da gibt es zwei verschiedene Anschauungen: Die eine Anschauung – extrem würde ich sagen – wird von einigen, von den NGOs vertreten, die darauf pochen, dass Wasser zu einem öffentlichen Recht erklärt wird. Das heißt: Als Mensch sollten Sie einfach Recht haben, um Wasser zu haben. Das ist die eine Extremlösung. Die andere sagt: Wasser ist ein Lebensmittel. Und so wie jedes andere Lebensmittel sollte es einen Marktwert haben.

Diese Sätze sprechen für sich. Doch später lassen die Macher von „Bottled Life“ Brabeck immer wieder Dinge sagen, die weniger offensichtlich daneben sind. Mit diesen Aussagen hätte man sich auseinandersetzen müssen. Zum Beispiel wenn er den Wassermangel in armen Ländern auf Golfplätze und Swimmingpools schiebt. Neben der Zahl der Golf spielenden Nestlé-Manager wäre hier interessant, ob solche Luxusverwendungen wirklich einen nennenswerten Teil zum Problem beitragen, oder nicht. Doch Regisseur Urs Schnell und Rechercheur Res Gehriger interessieren solche Fragen nicht. Die wollen nur ihre Botschaft loswerden: Der böse Nestlé-Konzern nimmt den armen Menschen das Wasser weg. Man ahnt, dass das sicherlich irgendwie stimmt, aber man würde es an vielen Stellen im Film gern genauer wissen. Und man würde gern mehr darüber erfahren, welche Gründe noch eine Rolle spielen. Staatliche Misswirtschaft gehört ganz bestimmt dazu. Sie macht das Geschäftsmodell, armen Menschen abgefülltes Wasser für viel Geld zu verkaufen, erst möglich. Auch der Klimawandel kann nicht ganz unschuldig sein. Was ist mit intensiver Landwirtschaft? Was mit zunehmender Bodenversiegelung? Mit rivalisierenden Staaten, die sich um Flüsse streiten? Doch statt sich dem Thema von mehreren Seiten zu nähern und so zumindest zu versuchen, seiner Komplexität annähernd gerecht zu werden, lässt der Film ein paar Frauen aus einer Kleinstadt in Maine immer wieder in sehr ähnlichen Worten sagen, dass man Nestlé stoppen müsse. Warum überhaupt ein großer Teil des Films dort gedreht wurde, in diesem grünen US-Bundesstaat an der Ostküste, in dem sich durchschnittlich 14 Menschen pro Quadratkilometer die nicht gerade knappen Grundwasservorräte teilen, bleibt unklar. Auch optisch überzeugt der Film nur manchmal; etwa wenn er von der braunen, von Müll und Kadavern verseuchten Kloake eines auf Pfählen gebauten Slums in Lagos überblendet auf das tiefblaue Wasser des Genfer Sees, auf dem friedlich ein paar Schwäne schwimmen und an dessen Ufer der Hauptsitz von Nestlé liegt. Aber wenn Gehriger mehrmals mit entschlossenem Blick am Computer zu sehen ist oder zum Schluss bei einer Wanderung in irgendeinem Gebirge, von dem man nicht mal erfährt auf welchem Kontinent es liegt, ist das ziemlich verzichtbar.

Unverzichtbar ist es trotzdem, sich mit dem Problem der globalen Wasserknappheit zu befassen. Denn einer der wenigen handfesten Fakten des Films ist, dass die Slumbewohner von Lagos oft mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Trinkwasser ausgeben – und dennoch keines von solcher Qualität bekommen, dass ihre Kinder nicht mehr krank würden. Darüber würde man gern mal einen guten Film sehen.

Ein kleiner, putziger Tierfilm

Als ich neulich für jetzt.de mit jungen Menschen über ihre Einstellung zu Bio-Lebensmitteln sprach, machte mich einer meiner Gesprächspartner auf den Film „La Surconsommation“ aufmerksam. Es ist in etwa das Verstörendste, was ich je gesehen habe.

Der Film zeigt im Zeitraffer verschiedene Szenen aus der Fleischindustrie. Eine Art Erntemaschine, die Hühner auf ein Fließband saugt. Fließbandarbeiter, die Geflügel zerlegen. Wundgescheuerte, bewungsunfähige Muttersäue beim Säugen ihrer Ferkel. Eine Kassiererin, die abgepacktes Fleisch über den Scanner zieht. Dazu spielen leise Trommeln, eine Frauenstimme singt. Es wird kein Wort gesprochen, kein Buchstabe eingeblendet. Untermalt von dezenter Musik, sprechen die Bilder für sich.

Vielleicht müsste ich hier jetzt hinschreiben: Bitte schaut euch den Film nur an, wenn ihr ganz starke Nerven habt. Aber im Supermarkt gibt es ja auch keine Schilder, auf denen steht „Kaufen Sie dieses viel zu billige Schnitzel nur, wenn Sie bereit sind, dafür Tierquälerei in Kauf zu nehmen“. Zur Debatte um einen Veggie Day sage ich: Esst was ihr wollt, aber seht bitte der Realität ins Gesicht.

Update 07.09.2013: Das ursprünglich eingebaute Video wurde inzwischen offenbar gelöscht. Ich habe es durch eine andere Version ersetzt, mal sehen, wie lang das hält.

Earth Overshoot Day

Overshoot ist eines der Wörter, um die wir die englische Sprache beneiden können. Es lässt sich nicht wirklich gut übersetzen, aber es hat viel mit dem Deutschen „über das Ziel hinausschießen“ zu tun. Heute haben wir über das Ziel hinausgeschossen.

Heute ist Earth Overshoot Day, ein Ereignis, das man notdürftig mit Welterschöpfungstag übersetzen kann. Der Earth Overshoot Day ist derjenige Tag im Jahr, an dem wir Menschen die letzte Flasche aus der planetaren Minibar nehmen.

Die Idee des Earth Overshoot Day geht auf den Briten Andrew Simms zurück, der die Idee dazu heute im Guardian erklärt. Technisch gesprochen ist der Welterschöpfungstag der Tag, an dem der ökologische Fußabdruck des Menschen (also die Gesamtheit an der Erde entnommenen Ressourcen und zugeführten Abfälle), die Menge übersteigt, die für den Planeten über ein ganzes Jahr verkraftbar ist (also nachwächst beziehungsweise abgebaut werden kann). Man hat dafür nur grobe Schätzungen, daher ist das genaue Datum eher symbolisch zu sehen. Aber der Trend ist eindeutig: 1993 fiel der Tag noch etwa auf den 21. Oktober, und 2003 auf den 22. September. Dieses Jahr verbrauchen wir etwa 1,5 Erden.

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Bildquelle: Greenpeace

 

Comedy ist für Leute die keine Zeitung lesen

Comedy ist was für Leute, die keine Zeitung lesen. Die beste Satire ist nur halb so lustig wie die blanke, ungeschminkte Realität. In den aktuellen vdi nachrichten, der Postille des Verbands Deutscher Ingenieure, wird recht ausführlich von der International Consumer Electronic Show berichtet. Die CES findet jeden Januar in der Weltvergnügungshauptstadt Las Vegas statt und ist eine der größten Messen für Unterhaltungselektronik. Der Branche gehe es nicht so gut, schreiben die Leute vom vdi, nach vorher zweistelligen Wachstumsraten sei 2012 ein schlechtes Jahr gewesen. Doch auf der letzten Seite wird ein Gadget vorgestellt, da haut es einen von den Socken. Das Ding sieht aus wie ein kleiner Mars-Roboter, ist aber natürlich viel besser, verspricht es doch die Lösung eines uralten Menschheitsproblems. Wer nämlich bisher Videoaufnahmen von seinen Haustieren machen wollte, so die vdi nachrichten, musste sich dafür „flach auf den Boden legen und fortlaufend verrenken“. Und wer kraucht schon gern auf dem von Katzenhaar übesäten Fußboden herum, um seine Miezi beim miezen zu filmen. Freilich kann ein Leben ohne Katzen-, Hunde-, Meerschweinchen- und Einsiedlerkrebse-Videos auch keine Lösung sein. Einen Ausweg aus diesem Dilemma haben jetzt die Jungs von BeeWi gefunden. Ihr Roboter „Scara Bee“ ist mit einer Kamera ausgestattet, die Pudel und Perserkatze auf Augenhöhe begegnet. Gesteuert wird Scara Bee ganz bequem über iPhone oder iPad, dorthin werden per W-LAN auch die Bilder übertragen. Preis: rund 150 Dollar.

Seine Majestät, die Plastiktüte

Heute gastiert wieder die EOFT, die European Outdoor Film Tour, in Augsburg. Dort werden verschiedene Kurzfilme im Zusammenhang mit Outdoor-Sport gezeigt, queerbeet von Kanutouren auf dem Kongo über Klettern im Yosemite bis zum Extremwandern in der Arktis. Man muss diese Veranstaltung sicher kritisch sehen, weil einige Protagonisten Wildnis mit Disneyland verwechseln und unverantworlich mit der Natur umgehen. Ich gehe trotzdem gerne hin, weil mir die Filme eine ungeheure Motivation zum eigenen Aufbruch ins Abenteuer geben. Aber für mich ist Outdoor-Begeisterung untrennbar mit Umweltbewusstsein verbunden. Wer die awesoness des Planeten zwischendurch intensiv erlebt, kann seiner Zerstörung nicht tatenlos zusehen. In diesem Zusammenhang gab es auf der EOFT 2011 einen genialen Film, der sich auf satirische Weise einem unterschätzten Problem widmet: The Majestic Plastic Bag.

Seit dem Beginn der großindustriellen Verarbeitung von Erdöl zu Kunststoffen in den 1950er Jahren ist die Weltproduktion im Schnitt um 9% pro Jahr gewachsen und lag 2009 bei 230 Millionen Tonnen. Dieses Plastik hat sich inzwischen auf die gesamte Erdoberfläche verteilt. Man findet es nicht nur im Lebensraum des Menschen, sondern auch in Wüsten und Ozeanen. Das ist nicht spektakulär und medienwirksam wie die Explosion einer Bohrinsel, aber mindestens genauso dramatisch. Bei einer großangelegten Untersuchung europäischer Strände wurden im Schnitt 540 Abfallteile auf 100m Strand gefunden. Im Nordpazfik gibt es eine gigantische Ansammlung von Abfällen, den Great Pacific Garbage Patch. 89% des Mülls besteht aus Kunststoff. Die UN geht davon aus, dass dort auf ein Kilo Plankton sechs Kilo Plastik kommen. Die verschiedenen Studien über die Ausdehnung des Müllteppichs weichen sehr stark voneinander ab. Selbst dem sehr zurückhaltenden Team von der Oregon State University ist es jedoch eine Erwähnung wert, dass „Teile des Pazfiks weitgehend frei von Plastik sind“. Sensationell: In einer Gegend irgendwo zwischen Chile und den Osterinseln haben sie sogar gar keine Kunststoffe gefunden. Der Pazifik hat eine größere Fläche als die gesamte Landmasse der Erde. Wenn es schon eine wissenschaftliche Meldung wert ist, dass wir die Meere noch nicht flächendeckend zugemüllt haben, läuft irgendwas verdammt falsch.

Plastik wird nur sehr, sehr langsam biologisch abgebaut. Unter Einwirkung von Sonnenlicht zerfällt der Müll jedoch in kleine Teile, die von Fischen, Meeressäugetieren und Seevögeln gefressen werden. Was sie dort anstellen, kann man in einem TED Talk von Captain Moore sehen. Giftige Bestandteile reichern sich über die Nahrungskette an und bedrohen auch das Raubtier Mensch an dessen Ende.

Wie kommt das Plastik ins Meer? Man nimmt an, dass etwa vier Fünftel über Flüsse eingebracht werden, der Rest stammt von Schiffen. 1992 verlor ein Containerschiff in einem Sturm vor Hongkong 29 000 Badeenten, die sich in den nächsten Jahren über alle Weltmeere verteilten. Ich war, und damit sind wir wieder bei Outdoor-Abenteuern, vor einigen Jahren in einer sehr, sehr abgelegenen Gegend von Neuseeland unterwegs, in Fiordland. Ein traumhaft schöner, nahezu unberührter Regenwald am Ende der Welt. Am siebten Tag der Tour stiegen wir auf eine Hochebene, wo wir in einen Sturm gerieten. Ich hatte meine Abfälle der ganzen Woche – vor allem die Verpackungen unzähliger Müsliriegel und Nussmischungen -außen am Rucksack befestigt. Der Sturm riss die Mülltüte weg und der Kram verteilte sich in kürzester Zeit über das ganze Tal. Der Gedanke daran verursacht mir immer noch ein Ziehen in der Magengegend.

Ein beachtlicher Teil der produzierten Kunststoffe wird immer in die Natur gelangen. Was hilft, ist Vermeidung. In der EU wird erwogen, die kostenlose Abgabe von Plastiktüten zu verbieten. In San Francisco, Los Angeles und ganz China ist das bereits geschehen. Wir müssen unser gesamtes Konsumverhalten auf hochwertige, langlebige Produkte ausrichten. Befreien wir uns von diesem ganzen unnötigen Plastikschrott.

Eine neue Definition von Coolness

Es gibt ein Buch, das mich als Teenager sehr begeisterte und mein Weltbild entscheidend geprägt hat. In der Annahme, dass meine damalige Begeisterung viel mit jugendlicher Naivität zu tun hatte, habe ich das Buch kürzlich nochmal gelesen. Vielleicht bin ich immer noch naiv, aber der Text hat mich erneut begeistert und inspiriert.

Es geht um  „CULTURE JAMMING. Das Manifest der Anti-Werbung“. Kalle Lasn, der Autor, wurde in Estland geboren und lebt inzwischen in Vancouver. Er ist Begründer des Adbusters Magazine und einer der führenden Köpfe von Occupy Wallstreet. Das zentrale Thema dieses sehr wütenden Buchs ist der Konsumkapitalismus, der uns einer ständigen Gehirnwäsche namens Werbung unterzieht und den Planeten vor die Hunde bringt. So fängt es an:

„Das Buch, das Sie in der Hand halten, hat eine Mission, der Sie zunächst einmal instinktiv misstrauen werden. Die Botschaft lautet: Wir können die Welt verändern. Ein gewagtes Versprechen in unserer Zeit, denn es klingt wie ein sinnloser Werbeslogan, wie eine Platitüde aus dem „Weck den Tiger in dir“-Regal.“

Lasn beschreibt, wie die Macht der Konzerne im letzten Jahrhundert unheimliche Ausnahme erreicht hat und längst die Macht der Menschen übersteigt, die sie geschaffen haben. Er schildert die Manipulation, die omnipräsente Werbung, Sponsoring und Product Placement in unseren Gedanken erzeugt haben. Er thematisiert die Auswirkungen dieser Konsummaschinerie auf die Umwelt und auf unsere Psyche. Lasn benennt nicht nur Probleme, er ruft zum Kampf auf:

„Culture Jamming bezeichnet eine subversive kulturelle Praxis, eine Rebellion gegen die Inbesitznahme öffentlicher Räume durch Industrie und Kommerz. Culture Jamming versteht sich als Sand im Getriebe der alles verheißenden und nichts erfüllenden Werbeindustrie.“

Lasn selbst führt diesen Kampf mit seiner Adbusting Media Foundation durch professionelle Anti-Werbung: Die Symbolik der Werbung wird kopiert, aber die Bedeutung umgekehrt. Man sieht dann zum Beispiel Joe Camel, das Kamel der Camel-Werbung, umgetauft als Joe Chemo auf der Krebsstation liegen. Ein schönes Beispiel ist auch dieser Greenpeace-Spot:

CULTURE JAMMING ist eine gute Grundlage, um darüber zu diskutieren wie eine bessere Welt aussehen könnte. Ich versuche mal, den Kern des Problems aus meiner Sicht zu beschreiben.

Es gibt eine gigantische Machtverschiebung von demokratisch gewählten Regierungen zu kapitalgesteuerten Konzernen. Unter den 100 größten Wirtschaftsmächten der Erde sind 43 Unternehmen. Spätestens die Finanzkrise 2008 ff hat gezeigt, wer die Zügel in der Hand hält. Systemrelevant und alternativlos sind die Unwörter der Epoche und zeigen, dass die Staaten dem Wirtschaftsgeschehen ziemlich hilflos gegenüber stehen. Die Gipfeltreffen im Namen von G8, EU et cetera haben längst nur psychologische Bedeutung zur Beruhigung der wild gewordenen Kräfte des Marktes. Wurde bei der Mondlandung 1969 noch die Flagge der Vereinigten Staaten gehisst, stand bei Baumgartners Stratosphärensprung alles im Zeichen des Red-Bull-Logos. Wir sind inzwischen pausenlos mehr oder weniger subtilen Werbebotschaften ausgesetzt. Neben herkömmliche Werbekonzepte wie Plakattafeln und Anzeigen in Magazinen sind alle möglichen neuen Kanäle getreten, die uns beinahe pausenlos bearbeiten. Das Werbebanner auf Spiegel Online, gekaufte Beiträge auf Facebook, das auf Augenhöge angebrachte Poster über dem Pissoir, die geschickt plazierten Produkte in Skyfall, das Markenlogo auf dem Shirt deines Kumpels, das kleine Schild auf den Monitorboxen bei Rock am Ring. Keiner weiß genau, was dieses Dauerbombardement in unseren Köpfen anstellt, aber wenn es keine Wirkung hätte, würde die Wirtschaft dafür keine Milliardenbeträge ausgeben. Allein ein 30-Sekunden-Spot während der Übetragung des Super Bowl 2011 kostete drei Millionen Dollar.

Diese Manipulation für sich genommen könnte man als zwar nervig, aber nicht weiter bedrohlich ansehen. Aber: Die Aktivitäten der Konsumindustrie haben handfeste ökologische und soziale Auswirkungen. Was wir als Wirtschaftswachstum bezeichnen, ist nichts anderes als die großangelegte Vernichtung von Ökosystemen. Zur Befriedigung unseres Mobilitätsbedürfnisses veranstalten die Erdölkonzerne etwa im Nigerdelta ein ökologisches Desaster und zerstören die Lebensgrundlage der Bevölkerung. Die Rohstoffe für unsere Handys und Notebooks werden teilweise von Kindersklaven gefördert. Der Produktion der 30.000 Tonnen Fleisch, die McDonald’s allein in Deutschland jedes Jahr verbrät, fallen nach wie vor Regenwälder zum Opfer. Die mit einem ziemlich postiven Image gesegneten Hersteller von Outdoor-Kleidung verarbeiten laut einer neuen Studie eine Menge giftiger Chemikalien.

Wir werden zur Bestreitung unseres Lebens immer gewisse Güter verbrauchen. Das System des Konsumkapitalismus ist jedoch darauf ausgelegt, dass wir unseren Verbrauch maximieren, ohne Rücksicht auf die ökologischen und sozialen Folgen.

Wenn man sich mit den oben angeschnittenen und weiteren Themen beschäftigt, entwickelt man Wut. Diese Wut kann man kanalisieren und in positive Energie umwandeln, um die von den Konzernen geschaffene Kultur zu jammen. Dazu braucht es keine aufwendigen Adbusting-Kampagnen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich der Gleichschaltung des Kaufens zu widersetzen. Anfangen könnte man zum Beispiel mit einer Demaskierung von Red Bull. Zuerst brauchen wir eine neue Definition von Coolness. Längst gibt uns die Industrie vor, was es bedeutet cool zu sein. Ich bin für Individualitität, Kreativität und Spontanität als Säulen einer neuen Coolness, die man nicht kaufen kann. Ich habe Bock auf ein bisschen Revolution. Wer ist dabei? Meldet euch.

Wir sind Idealisten, Anarchisten, Guerillataktiker, Schwindler, Witzbolde, Maschinenstürmer der Neuzeit, Nörgler und Punks. Wir sind der pöbelnde Überrest einer Gegenkultur. Was uns verbindet, ist eine grenzenlose Wut gegen den Konsumkapitalismus und das Gefühl, dass die Zeit gekommen ist, um gemeinsam zu handeln.

  • Kalle Lasn: Culture Jamming. Das Manifest der Anti-Werbung. orange press 2006
  • Klaus Werner-Lobo und Hans Weiss: Das neue Schwarzbuch Markenfirmen. Ullstein 2010
  • www.konsumpf.de
  • www.adbusters.org
  • www.greenpeace.de

Ein Prosit der Besoffenheit

Im Rettungsdienst wird ein Funkschlüssel verwendet, um Einsatzmeldungen zu codieren. „Emil-Berta“ steht für eine Entbindung, „Ärger 5“ für eine Geiselnahme. Erhält das Rettungsteam von der Leitstelle die Information „Moritz 3“, handelt es sich um eine Alkoholvergiftung. 2010 mussten mit dieser Diagnose 333.000 Patienten in deutschen Krankenhäusern stationär behandelt werden. Alkoholbedingte Erkrankungen kosteten 74.000 Menschen das Leben. Bei jedem zehnten Verkehrstoten ist Trunkenheit am Steuer die Ursache. Fast ein Drittel aller Gewaltverbrechen wird unter Alkoholeinfluss verübt. 1,3 Millionen Menschen in Deutschland sind alkoholabhängig. Fährt man nachts mit der S-Bahn durch München, kann es passieren, dass man zwischen Urin, Erbrochenem und Raufereien kaum Luft zum Atmen findet.

Exzessiver Alkoholkonsum wird dementsprechend auch immer wieder thematisiert. Unter Überschriften wie „Komasaufen als Jugendmode„, „Kampf gegen Komasaufen“ und „Zahl betrunkener Jugendlicher verdoppelt“ nehmen sich Leitmedien von BILD bis ZEIT der Problematik an. Politiker von der Kommunal- bis zur Bundesebene äußern sich regelmäßig. Die Trinkexzesse werden dabei fast ausschließlich als jugendspezifisches Phänomen diskutiert. Tatsächlich werden die ersten Erfahrungen mit Alkohol immer früher gemacht, müssen immer mehr Minderjährige mit Alkoholvergiftung behandelt werden. Doch das Problem liegt tiefer. Alkoholmissbrauch hat hierzulande viele Gesichter, er findet in allen Teilen und Schichten der Gesellschaft statt. Er ist das verbindende Element vom Obdachlosen zum Operngänger, er eint Müllmänner und Minister. Nicht selten geben sich auf Abschlussfahrten Lehrer und Schüler gemeinsam die Kante. Beim gemeinsamen Trinken werden Freundschaften geknüpft, Geschäfte eingefädelt, Ehen angebahnt. Gesoffen wird auf Volksfesten in der Provinz genauso wie bei den exklusiven Events der High Society. Die Frage ist nicht Sekt oder Selters, sondern Prosecco oder Pils; irgendwas saufen alle. Man könnte sagen: Der Suff hält die Nation zusammen.

Liegt jemand betrunken mit schmutzigen Kleidern und ungepflegten Haaren auf einer Parkbank, gilt er als asozial. Für sich genommen ist Alkoholismus jedoch gesellschaftlich akzeptiert. Wer sich schon vormittags beim Frühschoppen um den Verstand säuft, verkörpert bayerische Lebensart. Mit dem Münchner Oktoberfest steht Deutschland für ein weltbekanntes Großereignis, das allein dem Rausch gewidmet ist und Millionen Besucher anzieht. Letztes Jahr wurden allein dort, neben Unmengen Fleisch, 7,5 Millionen Liter Bier verkauft. Volksfeste, Fußballspiele, Weihnachtsmärkte, Faschingsumzüge, Hochzeiten, Konzerte, Festivals: Nahezu alle Veranstaltungen werden von einem großen Teil der Gäste vornehmlich aufgesucht, um sich zu betrinken. Die Tourismusindustrie befördert jeden Sommer Millionen Deutsche aller Altersklassen an sogenannte Urlaubsorte, deren zweifelhafter Charme nüchtern kaum auszuhalten wäre. Dort macht der Urlauber dann das, was er am besten kann und säuft sich seine Umgebung schön.

Unsere Sprache kennt kein Wort für nicht mehr durstig, stattdessen Begriffe wie Schnapsleiche, tot gesoffen und Bierschiss. Von Sankt Pauli bis Partenkirchen, von Apres-Ski bis Zehn kleine Jägermeister dominiert der Alkohol unsere Kultur und unser Leben. 83 Milliarden Liter Bier trinken wir Deutschen jedes Jahr. Das sind hundert Liter pro Kopf, dabei sind Säuglinge, Straight Edger und andere Abstinenzler nicht herausgerechnet. Wein und Schnaps kommen noch dazu.

An unseren Ampeln hängen Schilder mit der Aufschrift „Nur bei Grün – den Kindern ein Vorbild“, während sich unzählige Väter regelmäßig im Beisein ihrer Kinder voll laufen lassen. Der Politiker Otto Wiesheu fuhr, damals Generalsekretär der CSU, mit 1,8 Promille einen Menschen tot. Er wurde später in Bayern Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr (!) und erhielt das Bundesverdienstkreuz. In Bayern finden Wahlkampfveranstaltungen häufig in Bierzelten statt; um den Applaus des alkoholisierten Publikums wird dann auch gern mal mit ausländerfeindlichen Sprüchen gerungen.

Auf jeder Party muss man sich erklären, wenn man ein Glas Wasser trinkt („Ach, musst du heute fahren?“); ballert man sich ins Delirium, ist man der Held. Wer gelegentlich einen Joint raucht, zählt zum arbeitsscheuen Gesindel, wird kriminalisiert und polizeilich verfolgt. Ein anständiger Suff dient der Brauchtumspflege.

Ich bin selbst bei diesem Thema kein Heiliger. Ich trinke auch gerne ein Glas Rotwein oder ein paar Bier. Manchmal auch eins zu viel. Aber diese geballte Sauferei immer und überall, dieser tief in der Gesellschaft verankerte Alkoholismus, bei dem so viele auf der Strecke bleiben, das widert mich mehr und mehr an. Die aktuelle Debatte über Exzesse unter Jugendlichen ist verlogen. Die Jugend bekommt es von den älteren Generationen, von Eltern, Lehrern, Medien und Politik nicht anders vorgelebt. Wenn man etwas gegen „Komasaufen“ unternehmen will, braucht man einen grundlegend anderen Umgang mit Alkohol in unserer Gesellschaft.

Fleisch oder Blumen

Mein Bekanntenkreis lässt sich in zwei Glaubensgemeinschaften einteilen: Vegetarier und Fleischfanatiker (wobei Letztere die deutlich größere Gruppe darstellen). Ich kenne fast ausschließlich Menschen, die entweder jedes Stückchen Schinken von ihrer Pizza pulen oder aber ein Gericht, das nicht mindestens 200 Gramm Tier enthält, als völlig ungenießbar ansehen.

Über Risiken und Nebenwirkungen des Fleischkonsums wurde in den letzten Jahren zur Genüge aufgeklärt. Es gibt zahlreiche medizinische, ökologische und ethische Argumente gegen den Verzehr von Schnitzel und Schweinsbratwürsten. Fast alle großen Lebensmittelskandale der letzten Jahre betrafen tierische Produkte. Bücher wie Tiere Essen wurden zu Bestsellern.

Das alles hat in der Breite nicht zu einem bewussteren Fleischkonsum geführt, im Gegenteil. Vegetarier wurden zwar in ihrem Weltbild bestärkt, es sind wahrscheinlich auch ein paar mehr geworden. Insgesamt nimmt die Fleischproduktion jedoch zu und erreichte 2011 mit 8,2 Millionen Tonnen in Deutschland einen neuen Höchststand. Grillen erfreut sich als abendfüllende Freizeitbeschäftigung größter Beliebtheit. Der Zeitschriftenmarkt wurde um das Magazin BEEF! bereichert.

Ich selbst esse Fleisch. Ich mag zwischendurch ein gutes Lammsteak, einen ordentlichen Hamburger, Spaghetti Bolognese. Ich versuche, aus oben genannten Gründen, meinen Fleischkonsum einzuschränken. Und ein bisschen darauf zu achten, wo das Fleisch herkommt. Wie gut mir das gelingt, ist eine andere Sache. Aber darum geht es nicht.

Jedes Mal, wenn ich ein vegetarisches Gericht bestelle, werde ich gefragt, „ob ich denn gar kein Fleisch esse“. Ich trage nicht den Stempel „Vegetarier“, also nimmt man an, dass ich zu jeder Mahlzeit ein halbes Rind verspeisen müsste, alles andere sorgt für Verwirrung. Vollzeitvegetarier müssen sich noch einiges mehr anhören. In machen Kreisen sorgt es schon für Diskussionen, etwa in einer Kantine überhaupt vegetarische Speisen anzubieten. Es gibt natürlich auch militante Tierschützer, wobei die zumindest mir im Alltag seltener begegnen.

Woher kommt dieser Fanatismus? Wann kommen wir zu einem rationalen, reflektierten, entspannten Umgang mit dem Essen von Tieren? Wo sich einfach jeder ein paar Gedanken macht und dann isst, was er für richtig hält, und andere essen lässt, was sie für richtig halten?

Gelesen (1)

„Dieses geistig-körperliche Versumpfen, dieses Fettwerden unten und oben, ist es das, wofür wir leben?“

Andreas Altmann – Im Land der Regenbogenschlange