Gegen die Hygienewächter der deutschen Sprache
Ursprünglich erschienen im presstige ePaper #5
Durch zunehmendes Eindringen fremder Wörter ist die deutsche Sprache und damit unsere Kultur bedroht, heißt es immer wieder. Eine Erwiderung.
Die Deutsche Bahn spricht jetzt wieder Deutsch. Der Konzern hat eine Liste mit 2.200 Anglizismen erstellt, die künftig durch ein deutsches Wort ersetzt werden sollen. Statt Flyer heißt es dann wahlweise Handzettel oder Broschüre, aus Counter wird Schalter und Service Point wird zu DB Information. Im Verkehrsministerium, das die Deutschoffensive der Bahn angestoßen hat, spricht man in diesem Zusammenhang von „Sprachreinheit“.
Die Bahn hat für die Englischkenntnisse ihrer Mitarbeiter („Senk ju vor träwelling“) in der Vergangenheit viel Spott kassiert. Aber kann es die Lösung sein, in Zukunft wieder voll auf Deutsch zu setzen? Bei einem Verkehrsunternehmen, dessen Kunden Reisende sind und somit häufig Nichtdeutsche?
Wie wir wissen, war früher alles besser, oder zumindest das meiste. Seit dem Ende von Früher geht es unaufhaltsam bergab. Klar, dass dieser Trend auch vor der deutschen Sprache nicht Halt macht. In diesem speziellen Fall manifestiert sich der Niedergang in der zunehmenden Durchsetzung von Wörtern aus dem Englischen. Dieses Problem hat nicht nur die Bahn erkannt, es gibt sogar einen eigenen Verein zur Reinhaltung der Sprache. Er nennt sich etwas ideenlos Verein Deutsche Sprache e.V. Dort kämpfen 36.000 Mitglieder gegen „überflüssige englische Brocken“. Schuld an der Sprachverhunzung ist für den Verein „die weltweite Ausbreitung des American Way of Life, hinter dem die politische und wirtschaftliche Macht der USA steht“. Bei den Deutschen erkennen die Sprachreiniger eine „gierige Bereitschaft zur Anbiederung ans Englische“. Ottmar Hitzfeld und Hape Kerkeling sind prominente Mitglieder des Vereins.
Natürlich, es gibt ziemlich bescheuerte Anglizismen. Das macht sich zum Beispiel immer dann bemerkbar, wenn uns der Einzelhandel in großen roten Buchstaben „SALE“ entgegenbrüllt, weil das Wort Schlussverkauf irgendwie aus der Mode gekommen ist. Oder das Schild, an dem ich letztens in Berlin vorbeigeradelt bin: „rent a bike ab 5“. Berlin ist eine weltoffene Stadt, viele Menschen hier sprechen kein Deutsch, ich habe vollstes Verständnis, wenn Dienstleistungen auf Englisch angepriesen werden. Aber dann muss es heißen „rent a bike starting at 5“. Ähnliches Beispiel: Der „Coffee to go auch zum Mitnehmen“.
The German Energiewende
Wer die deutsche Sprache von allem Fremden reinhalten möchte, verteidigt damit die letzte Bastion einer Ideologie, die eigentlich längst überwunden sein sollte. Genau wie Zuwanderungskritiker meist nicht wahrhaben wollen, dass die Zuwanderung in Deutschland in schlechten Jahren unter der Abwanderung liegt und in guten Jahren mit Müh und Not den Bevölkerungsrückgang auffangen kann, genauso wird oft unterschlagen, dass Wortwanderungen in beide Richtungen stattfinden. Die Liste deutscher Wörter in der englischen Sprache ist meterlang, sie geht vom Klassiker Kindergarden über Hinterland bis zu abstrakten Begriffen wie Angst, Zeitgeist und Schadenfreude. Ein ziemlich junger deutschstämmiger Neuzugang im angelsächsischen Sprachschatz ist die Energiewende. Als im Frühjahr der FC Bayern und der BVB Dortmund ihre spanischen Kontrahenten Barca und Real mit 4:0 und 4:1 vom Platz fegten, titelte die Londoner Boulevardzeitung Sun mit dem grandiosen Wortspiel „Foursprung durch Technik“. Mit ein bisschen Fantasie und Kreativität wird aus fremden Eindringlingen eine ungeheure Bereicherung für die eigene Sprache.
Wie schwierig es sein kann, das moderne Leben in einem konservierten Deutsch zu beschreiben, musste übrigens auch die Bahn feststellen: Für die Neubennenung ihrer Hotline ist ihr nichts Besseres eingefallen als ServiceNummer. Dabei wäre Hilfestellungsfernsprecheinrichtung doch total sexy, pardon, adrett gewesen.