Words And Numbers

Autor: cendt (Seite 13 von 19)

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Das Internet ist das vermutlich komplexeste Gebilde in der Geschichte der Menschheit, eine Kraft der Veränderung, die es mit dem Buchdruck mindestens aufnehmen kann, und es gehört für viele Millionen Menschen in diesem Land völlig selbstverständlich zu ihrem Alltag. Im deutschen Feullieton wird aber nach wie vor vielfach darüber gesprochen, als handle es sich um eine lächerliche Trendsportart, die von ein paar verblendeten Schwachköpfen betrieben wird.

Christian Stöcker – Nerd Attack!

Podiumsgeplänkel

Über eine Podiumsdiskussion an der Uni Augsburg zu den Studiengebühren in Bayern

Der folgende Bericht ist ausdrücklich subjektiv, voreingenommen und unvollständig. Subjektiv, weil die einzige Möglichkeit, objektiv von einer politischen Veranstaltung zu berichten, ein wörtliches Protokoll wäre, und das will keiner lesen, glaubt mir. Voreingenommen, weil ich eine Meinung zu den beteiligten Themen, Personen und Parteien habe und keine Lust, diese zu verbergen. Unvollständig, weil ich nicht immer aufmerksam zugehört und meine Notizen aus der Veranstaltung verlegt habe…

Der AStA der Uni Augsburg hatte zu einer Podiumsdiskussion über Studiengebühren geladen. Bemerkenswerterweise haben alle Landtagsparteien Vertreter entsandt; man könnte meinen, dieses Jahr stehen Wahlen an. Außerdem waren noch ein Vizepräsident der Uni und ein StudierendenStudentenvertreter am Start. Im Publikum saßen großteils linke Studenten aus dem Umfeld der diversen Hochschulgremien, dazu ein paar Piraten und Verbindungsfuzzis in gebügelten weißen Hemden mit Hosenträgern in den Verbindungsfarben.

Der Moderator hat zunächst den Oppositionsleuten von SPD, Grünen und Freien Wählern die Gelegenheit gegeben, sich vorzustellen. Alle drei haben natürlich studierende Kinder und/oder können sich noch gaaanz genau an ihre eigene Studienzeit erinnern. „Wir sind auf eurer Seite“ war die Botschaft an etwa 120 Studenten im Saal. So weit, so erwartbar.

Dann kam der Bad Guy an die Reihe, Professor Barfuß von der FDP, die sich als einzige verbleibende Partei gegen die Abschaffung der Studiengebühren positioniert. Und lustigerweise war es dann genau dieser Professor, der den ersten Applaus des Abends erntete, für den Satz: „Die Benachteiligung der Arbeiterkinder beginnt schon im Kindergarten.“ Oder so ähnlich, wie gesagt, ich habe meine Aufzeichnungen nicht mehr. Jedenfalls war seine Argumentation recht ähnlich zu meiner letztes Jahr hier im Blog. Der Mann ist Haushaltspolitiker und sieht prinzipiell Spielräume für eine Abschaffung der Studiengebührenbeiträge (er legte großen Wert auf diese korrekte Bezeichnung; Gebühren müssten kostendeckend sein, die Studienbeiträge dagegen finanzieren ja nur einen kleinen Teil der Hochschuletats), würde diese Spielräume aber gern anderwertig einsetzen, für frühkindliche Förderung und solches Zeugs (Gedöns, wie der alte Gerd gesagt hätte). Ein echtes Plädoyer PRO Studiengebühren, wie man es von der FDP vielleicht erwartet hätte, sieht anders aus. Ob der Typ nicht ganz auf Parteilinie ist oder sich einfach nur den Shitstorm bei der dieser Veranstaltung ersparen wollte, bleibt unklar.

Fehlt noch der Abgesandte der CSU. Aus deren Landtagsfraktion hat sich keiner hergetraut, stattdessen schickten sie Volker Ullrich, seines Zeichens Ordnungsreferent der Stadt Augsburg. Was den großen Vorteil hatte, dass der nicht rechtfertigen musste, warum er damals unter Edmund I. für die Studiengebühren gestimmt hat und jetzt, vox Rindviech, für deren Abschaffung eintritt. However, wer in den Bundestag will darf keinen Auftritt ausschlagen, und so saß er auf dem Podium und musste erklären warum er denn da sitzt, als Kommunalpolitiker. Und, oh Wunder, natürlich hat er auch mal studiert und war damals hochschulpolitisch SEHR aktiv und überhaupt ist er als Ordnungsreferent für die Festlegung der Zeiten zuständig, zu denen man sich im Rathaus für das Volksbegehren eintragen kann… Jaaa.

Professor Tuma von der Unileitung hat „zwar eine politische Meinung, die ist aber nicht Gegenstand dieser Diskussion“. Zur Frage der Studiengebühren wollte er sich also nicht explizit äußern. Tuma hob allerdings die aus seiner Sicht erheblichen Verbesserungen in der Lehre hervor, die durch jene ermöglicht worden seien. Auf diese könne und wolle die Uni nicht verzichten, ob das Geld von den Studenten oder aus dem Haushalt komme sei eine andere Frage. Also Abschaffung der Gebühren nur bei voller, fest zugesagter Kompensation aus Seehofers Schatztruhe.

Der Studentenvertreter studiert VWL und schaut auch aus wie ein JuLi, hat aber recht vernünftig geredet. Was er genau gesagt hat, weiß ich leider nicht mehr.

Nach diesem fröhlichen Kennenlernen wurde ein bisschen diskutiert. Der FDP-Mann bleibt bei seinem Ansatz und bringt neben der Frühförderung noch die Meisterschüler und Altenpflege-Azubis ins Gespräch, die ja auch für ihre Ausbildung zahlen müssten. Das lassen die Oppositionsleute nicht gelten, man dürfe ja nicht Unrecht mit Unrecht begründen, selbstverständlich gehöre das alles verkostenlost. Interessant wurde es bei einem rot-gelben Hausaufgaben-Schlagabtausch. Die Jungs haben sich natürlich beide vorbereitet, und so packt Linus Förster, SPD, eine Studie der Bundesregierung aus. Da steht:

„Durch die Einführung von Studiengebühren verzichtet eine nennenswerte Zahl von Studienberechtigten auf das ursprünglich beabsichtigte Studium. Insbesondere Frauen und Studienberechtigte aus hochschulfernen Elternhäusern entscheiden sich aufgrund von Studiengebühren gegen ein Studium.“

Das kontert FDP-Mann Barfuß mit einer in der taz zitierten Studie, wonach Studiengebühren eben keinen Effekt auf die Studiumsentscheidung hätten. Verkehrte Welt und eine Lehrstunde über den Wert soziologischer Befragungen.

Später ging es dann noch viel um Tumas Geldsorgen. Die Uni könne derzeit viele Stellen nicht verlängern, da die Finanzierung nicht gesichert ist; die Zukunft der Gebühren sei ungewiss und eine Kompensation aus dem Haushalt nicht zugesagt. FDP-Finanzexperte Barfuß versucht auf seine leicht überhebliche Art, ihn zu beruhigen, es seien schon Mittel im Haushalt eingeplant, für den Fall der Fälle. Das Oppositionslager ist derweil weitgehend abgemeldet, CSU-Sitzwärmer Ulrich äußert zwischendurch ein paar Floskeln.

Irgendwann gab der Moderator die Diskussion frei und ließ Redebeiträge aus dem Publikum zu. Manche waren peinlich, einige recht vernünftig, einer erwähnenswert: Ein eloquenter Student aus dem Umfeld des Bildungsstreiks kritisiert die große Diskrepanz zwischen den warmen Worten der anwesenden Politiker und der praktizierten Bildungspolitik im Landtag.

Alles in allem war es ein halbwegs unterhaltsamer und informativer Abend. Die Diskutanten haben sich ein bisschen zu sehr lieb gehabt, etwas mehr Feuer hätte der Veranstaltung gut getan. Beim Rausgehen bekommt jeder von zwei hübschen AStA-Mädels einen Flyer in die Hand gedrückt. Draußen liegt Schnee.

Comedy ist für Leute die keine Zeitung lesen

Comedy ist was für Leute, die keine Zeitung lesen. Die beste Satire ist nur halb so lustig wie die blanke, ungeschminkte Realität. In den aktuellen vdi nachrichten, der Postille des Verbands Deutscher Ingenieure, wird recht ausführlich von der International Consumer Electronic Show berichtet. Die CES findet jeden Januar in der Weltvergnügungshauptstadt Las Vegas statt und ist eine der größten Messen für Unterhaltungselektronik. Der Branche gehe es nicht so gut, schreiben die Leute vom vdi, nach vorher zweistelligen Wachstumsraten sei 2012 ein schlechtes Jahr gewesen. Doch auf der letzten Seite wird ein Gadget vorgestellt, da haut es einen von den Socken. Das Ding sieht aus wie ein kleiner Mars-Roboter, ist aber natürlich viel besser, verspricht es doch die Lösung eines uralten Menschheitsproblems. Wer nämlich bisher Videoaufnahmen von seinen Haustieren machen wollte, so die vdi nachrichten, musste sich dafür „flach auf den Boden legen und fortlaufend verrenken“. Und wer kraucht schon gern auf dem von Katzenhaar übesäten Fußboden herum, um seine Miezi beim miezen zu filmen. Freilich kann ein Leben ohne Katzen-, Hunde-, Meerschweinchen- und Einsiedlerkrebse-Videos auch keine Lösung sein. Einen Ausweg aus diesem Dilemma haben jetzt die Jungs von BeeWi gefunden. Ihr Roboter „Scara Bee“ ist mit einer Kamera ausgestattet, die Pudel und Perserkatze auf Augenhöhe begegnet. Gesteuert wird Scara Bee ganz bequem über iPhone oder iPad, dorthin werden per W-LAN auch die Bilder übertragen. Preis: rund 150 Dollar.

Refugee Camp Vienna

Ein nasskalter Januartag in Wien. Der Sigmund-Freud-Park wirkt trostlos. Wenige Touristen haben sich her verirrt und knipsen lustlos ein paar Bilder. Bis vor ein paar Tagen war hier noch mehr los; Asylbewerber hatten im Park ein Protestcamp errichtet. Kürzlich wurde es geräumt, in einer nächtlichen Polizeiaktion mit Baggereinsatz und unklarer Rechtsgrundlage. Die Flüchtlinge sind in die anliegende Votivkirche umgezogen, hier lässt man sie bisher bleiben, der Wiener Kardinal war sogar schon zu Besuch. Das habe ich auch vor.

„Die Kirche ist geschlossen“, sagt ein grimmiger Wachmann, heute seien nur „diese Leute“ da. Nach einigem Hin und her lässt man mich doch hinein. Es ist eisig kalt im Gotteshaus. Die Flüchtlinge kauern auf eng zusammengeschobenen Matratzen, eingehüllt in Jacken, Decken, Schlafsäcken, betreut von Sanitätern und Helfern der Caritas. Viele sind im Hungerstreik, seit Tagen oder Wochen. Als Protest gegen das österreichische, das europäische Asylsystem, das Asylsuchenden zwar das Notwendigste gibt, aber kein Leben in Würde, keine Freiheit, keine Selbstbestimmung zulässt. Die Protestierenden fordern unter anderem freien Zugang zum Arbeitsmarkt und eine unabhängige Instanz zur Prüfung von Asylbescheiden.

Protestcamp Votivkirche

Was soll man schreiben? Ich kenne die Menschen nicht. Ich kenne ihre Geschichten nicht, ich weiß nicht wer sie sind und was sie hier her geführt hat. Mit Einzelnen konnte ich ein paar Worte wechseln. Viele sind aus der pakistanisch-afghanischen Grenzregion, wo die Taliban immer noch mächtig sind. Ein 18-Jährige Pakistani ist dabei, der Ingenieurwesen studiert hat, bis er vor den Taliban fliehen musste. Jede dieser 40 Geschichten könnte weit mehr als einen kurzen Blogeintrag füllen. Und jede wäre es wert, erzählt zu werden. Jede wäre interessanter als alles, was die großen Sender zur Primetime zeigen und die großen Magazine auf ihre Cover packen.

Ich kann nur ein paar Eindrücke sammeln und versuchen, eine Ahnung zu bekommen. Nach einer Stunde in dieser eiskalten Kirche, beim Anblick dieser entkräfteten, wütenden Menschen, weiß ich, dass ich das niemals könnte, als Wohlstandseuropäer, der es gewohnt ist, satt zu sein und im Warmen zu sitzen. Doch die Verzweifelten hier haben schon ganz andere Sachen erlebt. Und nichts mehr zu verlieren.

Ich weiß nicht, ob ich alle Forderungen der Votivkirchenbesetzer zu einhundert Prozent unterstützen kann. Aber grundsätzlich muss sich an der Situation von Flüchtlingen in Deutschland, Österreich und Europa etwas ändern. Es muss eine reale Perspektive auf Asyl geben. Nicht jeder Asylantrag ist berechtigt, aber jeder muss ernsthaft geprüft werden. Wir müssen den Flüchtlingen, mit welchem Rechtsstatus auch immer, eine gewisse Würde und Selbstbestimmung lassen. Und wir dürfen sie nicht von der Gesellschaft isolieren. Der Wiener Rechtsanwalt Georg Bürstmayr schrieb im Standard:

Deshalb kriegen illegale Migranten und Asylwerber bei uns zwar ein Dach überm Kopf – aber zugleich sagt man ihnen in allen Sprachen dieser Welt: Du bist hier nicht willkommen. Du bist bestenfalls geduldet, und nur so lange, bis wir es uns anders überlegen, und sei das nach drei, fünf oder zehn Jahren. Bis dahin beweg dich nicht, gib keinen Laut, und wenn, dann als Bittsteller.

Bürgermeister, Mönch und Kürbis

Ein Reporter auf Themensuche

Ein kalter Freitagnachmittag im November: Das Team der presstige trifft sich zum Redaktionsworkshop. Wir haben drei Stunden Zeit, um eine Reportage zu schreiben. Auf der Suche nach einem Thema nehme ich die Straßenbahn zum Moritzplatz. Als wir das Rathaus passieren, fällt mein Blick auf ein Schild am linken Nebeneingang des Gebäudes. Alteingesessene wissen, dass dort früher die Polizei beheimatet war. Jetzt hängt an der Wand ein blaues Schild mit zwölf gelben Sternen und dem Wort „Europabüro“. Ich bin an dieser Tür schon hundert Mal vorbei gelaufen, aber ich habe keine Ahnung, was das Europabüro ist und was die da machen. Das müsste sich doch in Erfahrung bringen lassen: Thema gefunden. Zuerst brauche ich allerdings was zu essen. Mit ein paar Kolleginnen aus der Redaktion geht es auf ein Halloumi-Sandwich zur Dönerbude am Judenberg. Frisch gestärkt mache ich mich auf den Weg zum Rathaus. Und stehe vor verschlossenen Türen: Selbstverständlich ist das Europabüro freitags ab 13 Uhr geschlossen. Ohne große Hoffnung rufe ich noch die angegebene Telefonnummer für Termine außerhalb der Öffnungszeiten an, erwartungsgemäß nimmt niemand ab. Zum Glück liegt die nächste Themenidee nur ein paar Meter entfernt: Das Wahrzeichen der Stadt, der Augsburger Perlachturm. Auf dem Weg sehe ich vor meinem geistigen Auge schon einen etwa hundertjährigen Turmwärter, der mir die nächsten eineinhalb Stunden die abenteuerlichsten Geschichten erzählen wird.

 Kurz darauf rüttele ich an einem verschlossenen, kalten Eisengitter. Der Perlachturm ist wegen Umbau geschlossen. Damit hat sich auch meine zweite Reportage-Idee in Luft aufgelöst. Frierend und ohne Ziel laufe ich durch die Innenstadt und suche nach auf der Straße liegenden Themen. Ich komme meiner Wohnung und der darin befindlichen Kaffeemaschine bedrohlich nahe, kann der Versuchung aber widerstehen. Unbewusst führt mein Weg wieder zurück zum Moritzplatz, wo ich zufällig ein aus der Lokalpresse bekanntes Gesicht erblicke. Der Mann hat lange Beine und ist ziemlich flott unterwegs, aber es gelingt mir, ihn einzuholen. „Herr Gribl, ich bin vom Hochschulmagazin presstige, hätten Sie vielleicht kurz Zeit?“ Hat er natürlich nicht.

 In großer Not sucht der Mensch Zuflucht in der Religion. So trete ich kurz darauf durch eine schwere gusseiserne Tür am Elias-Holl-Platz. Mir schlägt Weihrauchduft entgegen, ich bin im Kloster Maria Stern. Ich kenne Nonnen und Mönche nur aus Mittelalter-Romanen. Hier möchte ich herausfinden, wie klösterliches Leben im Jahr 2012 aussieht. Die Schwester an der Pforte begegnet meinem Ansinnen mit Skepsis, führt mich dann aber doch in einen kleinen Warteraum. Ich blättere in christlichen Zeitschriften und höre auf die Geräusche im Flur. Nach kurzer Zeit kommt die Mutter Oberin ins Zimmer. Ich bitte sie um ein kurzes Gespräch über das Klosterleben. Leider kann sie mir so kurzfristig keine Auskunft geben. Man müsse erst gemeinsam entscheiden, was man preisgeben möchte. Ich könne es aber noch bei den Mönchen von St. Stephan versuchen. Ich bedanke mich höflich und folge dem geistlichen Rat. Bei St. Stephan werde ich freundlich empfangen, allerdings „sind die Oberen gerade weg, und ohne deren Erlaubnis dürfen wir nicht reden“. Vielleicht steckt in dieser Aussage schon alles Wissenswerte zum Leben im Dienst der Kirche.

 Für meine Reportage ist es trotzdem zu wenig. In einer knappen Stunde soll der Text fertig sein und ich stehe mit leeren und inzwischen ziemlich kalten Händen da. Frustriert ziehe ich weiter und stolpere fast über einen Kürbis, der vor mir auf dem Gehweg liegt. Ich hebe den Blick und sehe ins Schaufenster eines kleinen Lebensmittelgeschäfts. So eine Art von Laden, wie es sie eigentlich gar nicht mehr gibt, weil längst von Supermärkten und Discountern verdrängt. Ein Tante-Emma-Laden. Und genau das steht auch auf dem bunten Logo an der Scheibe: Tante Emma. Dann steht da noch was von einem Projekt zur Qualifizierung schwer vermittelbarer Arbeitsloser. Meine Neugierde ist geweckt und ich gehe durch die Tür. Einen Moment später erklärt mir eine sympathische junge Frau das Konzept von Tante Emma. Ich habe mein Thema gefunden. Und sogar einen Kaffee bekommen.

Gehört (1)

Es ist besser für das was man ist gehasst, als für das was man nicht ist geliebt zu werden

Kettcar – Stockhausen, Bill Gates und ich

Ursprünglich stammt das Zitat vermutlich von einem gewissen André Gide. Vielleicht auch von jemand anders, jedenfalls nicht von Kettcar.

Friedensanspruch und Flüchtlingsrealität

Die zwei Gesichter der EU

Wir sind Nobelpreis: Der Friedensnobelpreis 2012 geht an die Europäische Union. “Für über sechs Jahrzehnte Förderung von Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten”, so gab es das Norwegische Nobelkomitee am 12. Oktober in Oslo bekannt.

Macht ja irgendwie auch Sinn. Das Projekt EU hat mit dafür gesorgt, dass in großen Teilen Europas seit 67 Jahren Frieden herrscht. Zuerst die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich, dann die Integration von Griechenland, Spanien und Portugal nach dem Ende der dortigen Diktaturen und die Osterweiterung nach dem Fall des eisernen Vorhangs – die Europäische Union steht für Völkerverständigung. Und der Prozess ist noch nicht abgeschlossen, mehrere Staaten aus dem ehemaligen Jugoslawien stehen schon vor der Tür. Nach Jahrhunderten des Krieges werden Konflikte zwischen europäischen Staaten inzwischen meist am Verhandlungstisch ausgetragen. Duurch die Eurokrise gerät diese historische Dimension ins Hintertreffen. Die Gemeinschaft wird zunehmend als Haftungsgemeinschaft wahrgenommen, in den Mitgliedsstaaten wachsen Euroskepsis und Nationalismus. In dieser Situation ist die Verleihung des Friedensnobelpreises ein Appell, die vielzitierte „Europäische Idee“ nicht aus dem Blick zu verlieren. Doch was bedeutet diese Idee in der Realität?

Das vereinte Europa verspricht Frieden und Freiheit. Für uns Bürger wird dieses Versprechen auf dem Weg in den Urlaub konkret erlebbar: Wir fahren dank dem blauen Streifen auf dem Nummernschild kreuz und quer über den Kontinent. Landesgrenzen sind für uns nicht mehr als Schilder am Rande der Autobahn, wir werfen einen kurzen Blick auf verfallene Kontrollposten und fahren weiter.

Die Tatsache, dass in Europa seit Jahrzehnten Frieden und Wohlstand herrschen, macht diese Weltregion sehr attraktiv für Menschen aus Gegenden, in denen die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen nicht ganz so rosig sind. Zur Wahrheit der Europäischen Union gehören auch die Menschen, die von einem Ort irgendwo auf dieser Welt aufbrechen und bei uns Zuflucht vor Armut, Verfolgung und Krieg suchen.

Hier endet die preiswürdige Friedensgeschichte.

Tausende machen sich jedes Jahr an den Küsten Nordafrikas auf den Weg, um mit kleinen Booten das Mittelmeer in Richtung Europa zu überqueren. Diese Menschen sind hier alles andere als willkommen. Die EU-Staaten schotten ihre Grenzen immer effektiver gegen Einwanderer ab; entsprechend gefährlich werden die Routen, auf denen Flüchtlinge eine Chance sehen. Die Boote sind selten seetauglich, meistens überladen und nicht immer kompetent gesteuert. Dementsprechend oft kommt es zu Unglücken. Es gibt zahlreiche belegte Fälle, in denen Flüchtlingsbooten in Seenot die Hilfe verweigert wurde – auch von Küstenwacheinheiten der EU-Staaten. Im Jahr 2011 sind nach Angaben von Amnesty International 2.000 boat people im Mittelmeer ertrunken, seit 1988 insgesamt 18.000 Menschen an Europas Außengrenzen gestorben. Ziemlich viel für einen Kontinent des Friedens.

Auch wer die Überfahrt überlebt und in Europa ankommt, dessen Odyssee ist noch nicht zu Ende. In der Regel landen die Schutzsuchenden dann in Auffanglagern in Südeuropa, wo häufig menschenunwürdige Zustände herrschen. Medizinische Versorgung ist kaum vorhanden, Unterkünfte sind massiv überfüllt, viele Flüchtlinge sind obdachlos oder inhaftiert. Manfred Nowak, damals UN-Sonderberichterstatter über Folter, besuchte 2010 ein Abschiebegefängnis in Griechenland. Er schreibt über seine Beobachtungen:

Unter der Tür zu den verstopften Toiletten rann ein Rinnsal aus Wasser, Urin und Fäkalien in den Schlafraum, wo die Menschen am Boden schlafen sollten. Der Gestank war beinahe unerträglich. Die Brühe stand etwa fünf Zentimeter hoch. Frauen standen mit ihren kranken Kindern im Arm, erschöpft von monatelanger Flucht, und weinten still vor sich hin.

In den vom hohen Ansturm überforderten Mittelmeerländern ist die Situation besonders schlimm. Doch das sogenannte Dublin-II-System versperrt den Asylanwärtern die Weiterreise in einen anderen EU-Staat: Für die Bearbeitung des Antrags ist ausschließlich das Land der Erstankunft zuständig. Werden die Flüchtlinge woanders aufgegriffen, werden sie per Fingerabdruck identifiziert und zurückgeschickt. Die wohlhabenden Staaten Mitteleuropas ziehen sich damit aus der Verantwortung.

Derzeit wird im EU-Parlament eine Änderung der „Aufnahmerichtlinie“ diskutiert. Dabei ist vorgesehen, dass Flüchtlinge künftig wegen einer Vielzahl von nichtigen Gründen schon bei der Ankunft in sogenannte Aufnahmehaft genommen werden dürfen. Das ist die europaweite Ausdehnung einer Praxis, die in Griechenland bereits Anwendung findet. Auch das hat sich ein Berichterstatter der UN angesehen. François Crépeau sagt über die vorgefundenen Einrichtungen, er würde dort nichtmal eine Stunde verbringen wollen. Flüchtlinge sind dort häufig für Monate eingesperrt, darunter auch Kinder.

„Wir werden stets auf der Seite derjenigen stehen, die nach Frieden und Menschenwürde streben“ sagte Komissionspräsident Barroso auf seiner Rede bei der Preisverleihung in Oslo. Die Realität an den Außengrenzen der Festung Europa sieht anders aus. Bei ihrer Flüchtlingspolitik  muss die Europäische Union dringend nachbessern, um ihrem Anspruch und Selbstverständis gerecht zu werden.

Ich will mein Internet zurück

Facebook nutzt seine Marktmacht und bestimmt zunehmend, welche Inhalte wir sehen. Ein Aufruf zur Rückeroberung

Hey, schön dass du da bist. Komm doch rein, Schuhe kannst anlassen. Ich hoffe du hast gut hergefunden. Wie bist du denn da, zu Fuß? Nein? Ach, verstehe, ein Link auf Facebook hat dich hergebracht. Egal, nimm erstmal nen Keks, Kaffee kommt gleich.

Als ich 2007 auf einer USA-Reise meinen Facebook-Account erstellt habe, war das in good old europe noch eine Randerscheinung. Hier waren wir damals noch auf Myspace und StudiVZ unterwegs. Inzwischen gibt es in Deutschland 25 Millionen Facebook-Mitglieder. Weltweit wurde im September die Marke von einer Milliarde Usern überschritten. Der Like-Button wurde seit seiner Einführung 2009 über eine Billiarde Mal gedrückt. Sowohl welt- als auch deutschlandweit ist Facebook die zweitpopulärste Website überhaupt, nur Google wird öfter aufgerufen. Facebook ist absoluter Standard. Die Begriffe Soziales Netzwerk und Facebook sind nahezu synomym. Der kalifornische Konzern hat quasi ein Monopol auf unsere virtuelle Kommunikation.

Das Teil ist einfach ungeheuer praktisch. Informationen, Ideen und Links, auf die man sonst vielleicht nie gestoßen wäre, verbreiten sich weltweit. Entfernungen spielen keine Rolle, der Traum von grenzenloser Kommunikation wird wahr. Von amüsantem Nonsense bis zu politischen Grundsatzdebatten findet alles seinen Platz. Ich bin mir sicher, dass ich den Kontakt zu vielen Freunden schon verloren hätte, wenn man nicht über Facebook so gut in touch bleiben könnte. Außerdem würde ohne das Verlinken auf Facebook kein Mensch meinen Blog lesen. Konzerte lassen sich über die Event-Funktion auch leichter organisieren. Klar könnte man das alles auch irgendwie anders machen, über E-Mail, Foren oder was auch immer. Vielleicht sogar offline. Aber es wäre nicht so einfach, effizient und elegant. Erinnert sich noch jemand, wie umständlich und nervtötend die Konkurenzprodukte zu bedienen waren? Myspace ist mit gutem Grund in der Versenkung verschwunden. Und Erscheinungen wie StudiVZ oder, noch schlimmer, Lokalisten haben mit ihrem auf Deutschland begrenzten Konzept von vornherein alles falsch gemacht. Facebook hat sich zu Recht durchgesetzt.

Aber.

Spätestens seit dem Börsengang müssen die Jungs ihren Profit steigern. Dafür ist ein Unternehmen schließlich da. „Facebook ist und bleibt kostenlos“, dieses Versprechen wird auf der Startseite gegeben. Es gilt allerdings nur noch mit Einschränkungen.

Wer mit seinen Posts zur Zielgruppe durchdringen will, wird inzwischen zur Kasse gebeten. Für Fünf Euro und einen Cent kann man seine Beiträge „hervorheben“, sie werden dann bevorzugt angezeigt. Im Umkehrschluss: Posts, für die nicht bezahlt wird, sind im Nachteil, wandern im Stream nach unten oder erscheinen erst gar nicht. Die Abwicklung läuft einfach, effizient und elegant: Nach dem Klick auf den Hervorheben-Button kann man direkt seine Kreditkarten-Daten angeben.

In letzter Zeit tauchen auch immer mal wieder Beiträge in meinem Stream auf, die weder mit meinen Freunden noch den von mir abonnierten Seiten irgend etwas zu tun haben. Zum Beispiel „coole Angebote im Winter“ einer bb Products GmbH. Oder KitKat-Werbung. Facebook war nett und lieb, bis es eine globale Monopolstellung erreicht hat. Jetzt nutzt der Konzern seine Macht. Facebook gibt vor, welche Inhalte wir sehen. Und welche nicht. Das Thema Datenschutz habe ich noch komplett außen vor gelassen. Mit personalisierter Werbung, mit Hilfe der gesammelten Daten präzise auf den Benutzer abgestimmt, lässt sich richtig Geld verdienen. Die paar Euro für hervorgehobene Beiträge sind im Vergleich dazu vermutlich lächerlich. Mit Selbstbestimmung jedenfalls hat das alles nichts zu tun.

Wie kommen wir da wieder raus? Ein Ausstieg aus dem Netzwerk wäre konsequent. Mit etwas Glück und viel Mühe kann man auch danach noch ein rudimentäres Sozialleben führen. Aber das erfordert Mut – zu sehr haben wir uns bereits im blau-weißen Netz verfangen. Für den Anfang könnte man den Blick etwas mehr auf das Internet links und rechts des Facebook-Highways richten. Registriert euch bei Twitter und Google+. Die sind bestimmt nicht besser, aber immerhin wird das Monopol gebrochen. Speichert eure Lieblings-Websites in der Kopfleiste eures Browsers und surft sie auf direktem Weg an. Legt euch eine Liste mit sehens- oder lesenswerten Blogs an, und schaut zwischendurch, ob es was neues gibt. Macht selbst einen Blog auf. Surfen wir auf dem offenen Meer, statt uns von Mark Zuckerberg durch einen beheizten Pool schieben zu lassen.

Ich werde meine neuen Einträge weiterhin auf Facebook posten und auf Twitter verlinken. Alternativ habe ich einen RSS-Feed und ein Newsletter-System, das per E-Mail über neue Artikel informiert. Beides findet man rechts neben diesem Text.

Wir haben die grenzenlose Freiheit des World Wide Webs gegen die bequeme Facebook-Welt getauscht. Einfach, effizient und elegant. Keiner hat uns dazu gezwungen, wir sind alle freiwillig der Verheißung gefolgt. Facebook darf gerne ein Weg der Kommunikation bleiben, allerdings sollte es nicht der einzige sein. Holen wir uns das Internet zurück! Noch nen Keks?

Update: Johnny Häusler hat sich zum Jahreswechsel auf Spreeblick.com ebenfalls mit dem Thema auseinandergesetzt. Lesenswert!

Seine Majestät, die Plastiktüte

Heute gastiert wieder die EOFT, die European Outdoor Film Tour, in Augsburg. Dort werden verschiedene Kurzfilme im Zusammenhang mit Outdoor-Sport gezeigt, queerbeet von Kanutouren auf dem Kongo über Klettern im Yosemite bis zum Extremwandern in der Arktis. Man muss diese Veranstaltung sicher kritisch sehen, weil einige Protagonisten Wildnis mit Disneyland verwechseln und unverantworlich mit der Natur umgehen. Ich gehe trotzdem gerne hin, weil mir die Filme eine ungeheure Motivation zum eigenen Aufbruch ins Abenteuer geben. Aber für mich ist Outdoor-Begeisterung untrennbar mit Umweltbewusstsein verbunden. Wer die awesoness des Planeten zwischendurch intensiv erlebt, kann seiner Zerstörung nicht tatenlos zusehen. In diesem Zusammenhang gab es auf der EOFT 2011 einen genialen Film, der sich auf satirische Weise einem unterschätzten Problem widmet: The Majestic Plastic Bag.

Seit dem Beginn der großindustriellen Verarbeitung von Erdöl zu Kunststoffen in den 1950er Jahren ist die Weltproduktion im Schnitt um 9% pro Jahr gewachsen und lag 2009 bei 230 Millionen Tonnen. Dieses Plastik hat sich inzwischen auf die gesamte Erdoberfläche verteilt. Man findet es nicht nur im Lebensraum des Menschen, sondern auch in Wüsten und Ozeanen. Das ist nicht spektakulär und medienwirksam wie die Explosion einer Bohrinsel, aber mindestens genauso dramatisch. Bei einer großangelegten Untersuchung europäischer Strände wurden im Schnitt 540 Abfallteile auf 100m Strand gefunden. Im Nordpazfik gibt es eine gigantische Ansammlung von Abfällen, den Great Pacific Garbage Patch. 89% des Mülls besteht aus Kunststoff. Die UN geht davon aus, dass dort auf ein Kilo Plankton sechs Kilo Plastik kommen. Die verschiedenen Studien über die Ausdehnung des Müllteppichs weichen sehr stark voneinander ab. Selbst dem sehr zurückhaltenden Team von der Oregon State University ist es jedoch eine Erwähnung wert, dass „Teile des Pazfiks weitgehend frei von Plastik sind“. Sensationell: In einer Gegend irgendwo zwischen Chile und den Osterinseln haben sie sogar gar keine Kunststoffe gefunden. Der Pazifik hat eine größere Fläche als die gesamte Landmasse der Erde. Wenn es schon eine wissenschaftliche Meldung wert ist, dass wir die Meere noch nicht flächendeckend zugemüllt haben, läuft irgendwas verdammt falsch.

Plastik wird nur sehr, sehr langsam biologisch abgebaut. Unter Einwirkung von Sonnenlicht zerfällt der Müll jedoch in kleine Teile, die von Fischen, Meeressäugetieren und Seevögeln gefressen werden. Was sie dort anstellen, kann man in einem TED Talk von Captain Moore sehen. Giftige Bestandteile reichern sich über die Nahrungskette an und bedrohen auch das Raubtier Mensch an dessen Ende.

Wie kommt das Plastik ins Meer? Man nimmt an, dass etwa vier Fünftel über Flüsse eingebracht werden, der Rest stammt von Schiffen. 1992 verlor ein Containerschiff in einem Sturm vor Hongkong 29 000 Badeenten, die sich in den nächsten Jahren über alle Weltmeere verteilten. Ich war, und damit sind wir wieder bei Outdoor-Abenteuern, vor einigen Jahren in einer sehr, sehr abgelegenen Gegend von Neuseeland unterwegs, in Fiordland. Ein traumhaft schöner, nahezu unberührter Regenwald am Ende der Welt. Am siebten Tag der Tour stiegen wir auf eine Hochebene, wo wir in einen Sturm gerieten. Ich hatte meine Abfälle der ganzen Woche – vor allem die Verpackungen unzähliger Müsliriegel und Nussmischungen -außen am Rucksack befestigt. Der Sturm riss die Mülltüte weg und der Kram verteilte sich in kürzester Zeit über das ganze Tal. Der Gedanke daran verursacht mir immer noch ein Ziehen in der Magengegend.

Ein beachtlicher Teil der produzierten Kunststoffe wird immer in die Natur gelangen. Was hilft, ist Vermeidung. In der EU wird erwogen, die kostenlose Abgabe von Plastiktüten zu verbieten. In San Francisco, Los Angeles und ganz China ist das bereits geschehen. Wir müssen unser gesamtes Konsumverhalten auf hochwertige, langlebige Produkte ausrichten. Befreien wir uns von diesem ganzen unnötigen Plastikschrott.