Ich sitze in einer Studenten-WG in Bari, trinke Bier und kann mein Glück kaum fassen. Okay, ich habe letzte Nacht kaum geschlafen und kann mir jetzt ungefähr vorstellen, wie sich Angela Merkel nach einem durchschnittlichen Griechenland-Italien-Spanien-Europa-Weltrettungsgipfel fühlt. Okay, ich habe seit zwei Tagen nicht geduscht, dafür ausgiebig Schweiß abgesondert und Straßendreck aufgenommen und stinke wahrscheinlich wie ein auf einer Bohrinsel gestrandetes Walross. Okay, ich habe seit vier Tagen keine anständige Mahlzeit mehr gegessen und hätte rein gewichtsmäßig inzwischen gute Chancen bei GNTM ins Finale zu kommen.
Aber hey, ich bin in Bari. Bari liegt 270 km, eine lächerliche Distanz, von Neapel entfernt, wo wir uns gestern vormittag auf den Weg machten. In der Zwischenzeit haben wir unzählige Stunden auf Raststätten und Autobahnauffahrten verbracht. Wir haben geschätzte siebzehntausend Mal unsere Daumen in den Wind gehalten. Wir haben auf dem Boden eines Rasthauses übernachtet, in einer Nische neben der Tür. Wir sind drei Stunden zum nächsten Autogrill gelaufen und wurden dann nicht reingelassen. Wir wurden Zeugen von Drogenkonsum am Steuer. Wir wurden zweimal von der Polizei verjagt, beide Male mit Blaulicht, beim zweiten Mal mit Sirene. Kurz: Es lief verdammt beschissen für uns.
Stuck in the middle of nowhere – (c) Sebastian Endt
Klar, Autostop liegt nicht gerade im Trend, klar haben manche Leute Angst, klar hat man nicht immer Bock wildfremde Menschen im Fahrzeug zu haben. Wartezeiten und Frust waren einkalkuliert. Aber die Gleichgültigkeit, Arroganz und manchmal Schadenfreude, die uns an diesen beiden Tagen entgegenschlug, war brutal. Für uns war das ein Abenteuer, ein Experiment, zeitlich begrenzt und trotz allem sowas wie Urlaub. Wie fühlt es sich an, wenn man diesen Blicken, dieser Verachtung täglich ausgesetzt ist, als echter Landstreicher, als Obdachloser?
Nach zwei Tagen waren wir unserem Ziel kaum näher gekommen und gaben auf. Wir saßen auf der Piazza in einem Nest namens Grottaminarda und warteten auf den Bus zurück nach Neapel. Zum Glück hatte der verdammte Bus eine halbe Stunde Verspätung. Sonst hätten wir den anderen Bus verpasst, von dessen Existenz wir nichts wussten und der gerade aus Rom kam. Und weiter fuhr nach: Bari.