Ein nasskalter Januartag in Wien. Der Sigmund-Freud-Park wirkt trostlos. Wenige Touristen haben sich her verirrt und knipsen lustlos ein paar Bilder. Bis vor ein paar Tagen war hier noch mehr los; Asylbewerber hatten im Park ein Protestcamp errichtet. Kürzlich wurde es geräumt, in einer nächtlichen Polizeiaktion mit Baggereinsatz und unklarer Rechtsgrundlage. Die Flüchtlinge sind in die anliegende Votivkirche umgezogen, hier lässt man sie bisher bleiben, der Wiener Kardinal war sogar schon zu Besuch. Das habe ich auch vor.
„Die Kirche ist geschlossen“, sagt ein grimmiger Wachmann, heute seien nur „diese Leute“ da. Nach einigem Hin und her lässt man mich doch hinein. Es ist eisig kalt im Gotteshaus. Die Flüchtlinge kauern auf eng zusammengeschobenen Matratzen, eingehüllt in Jacken, Decken, Schlafsäcken, betreut von Sanitätern und Helfern der Caritas. Viele sind im Hungerstreik, seit Tagen oder Wochen. Als Protest gegen das österreichische, das europäische Asylsystem, das Asylsuchenden zwar das Notwendigste gibt, aber kein Leben in Würde, keine Freiheit, keine Selbstbestimmung zulässt. Die Protestierenden fordern unter anderem freien Zugang zum Arbeitsmarkt und eine unabhängige Instanz zur Prüfung von Asylbescheiden.
Was soll man schreiben? Ich kenne die Menschen nicht. Ich kenne ihre Geschichten nicht, ich weiß nicht wer sie sind und was sie hier her geführt hat. Mit Einzelnen konnte ich ein paar Worte wechseln. Viele sind aus der pakistanisch-afghanischen Grenzregion, wo die Taliban immer noch mächtig sind. Ein 18-Jährige Pakistani ist dabei, der Ingenieurwesen studiert hat, bis er vor den Taliban fliehen musste. Jede dieser 40 Geschichten könnte weit mehr als einen kurzen Blogeintrag füllen. Und jede wäre es wert, erzählt zu werden. Jede wäre interessanter als alles, was die großen Sender zur Primetime zeigen und die großen Magazine auf ihre Cover packen.
Ich kann nur ein paar Eindrücke sammeln und versuchen, eine Ahnung zu bekommen. Nach einer Stunde in dieser eiskalten Kirche, beim Anblick dieser entkräfteten, wütenden Menschen, weiß ich, dass ich das niemals könnte, als Wohlstandseuropäer, der es gewohnt ist, satt zu sein und im Warmen zu sitzen. Doch die Verzweifelten hier haben schon ganz andere Sachen erlebt. Und nichts mehr zu verlieren.
Ich weiß nicht, ob ich alle Forderungen der Votivkirchenbesetzer zu einhundert Prozent unterstützen kann. Aber grundsätzlich muss sich an der Situation von Flüchtlingen in Deutschland, Österreich und Europa etwas ändern. Es muss eine reale Perspektive auf Asyl geben. Nicht jeder Asylantrag ist berechtigt, aber jeder muss ernsthaft geprüft werden. Wir müssen den Flüchtlingen, mit welchem Rechtsstatus auch immer, eine gewisse Würde und Selbstbestimmung lassen. Und wir dürfen sie nicht von der Gesellschaft isolieren. Der Wiener Rechtsanwalt Georg Bürstmayr schrieb im Standard:
Deshalb kriegen illegale Migranten und Asylwerber bei uns zwar ein Dach überm Kopf – aber zugleich sagt man ihnen in allen Sprachen dieser Welt: Du bist hier nicht willkommen. Du bist bestenfalls geduldet, und nur so lange, bis wir es uns anders überlegen, und sei das nach drei, fünf oder zehn Jahren. Bis dahin beweg dich nicht, gib keinen Laut, und wenn, dann als Bittsteller.
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