Wir sitzen in einem schwarzen Geländewagen und fahren auf der Stadtautobahn durch die Vororte von Neapel. Vor uns liegt der Vesuv in Wolken verhüllt. Links und rechts sehen wir halb verfallene Fabriken, nie vollendete Betonskelette, baufällige Wohnblocks. Dann mitten im Schutt ein glitzernder Solarpark. Der Schweizer am Steuer fährt versehentlich über zwei rote Ampeln, indem er seinen Vordermännern folgt. Auf der Rückbank liegt eine Zeitschrift über „Unternehmenspraxis und Geldanlage“. Wir steigen direkt am Meer aus, die Sonne kommt hinter den Wolken hervor.
Am nächsten Tag erkunden wir den neapolitanischen Wahnsinn zu Fuß. In einer Osterprozession tanzt das ganze Viertel um einen lebensgroßen Plastikjesus. Auf jeder Piazza bolzende Jungs mit roten Plastikbällen. Mofafahrer brettern blind und hupend um die Ecken. Wäscheleinen quer über die Gassen, Straßenhändler und Bettler überall. Das ganze Chaos ist mit Worten schwer zu beschreiben. Abends treffen wir im Vorort Portici auf Vincenzo. Vincenzo ist etwa 70 und hat über 40 Jahre als Gastarbeiter in Deutschland gearbeitet. Er führt uns eineinhalb Stunden durch die Gegend, erzählt und schimpft. Vor allem schimpft er. In Italien ist alles Mist. Bauqualität, Zahnersatz, Medikamentenpreise, die Männer (die mit der Emanzipation nicht klarkommen und ihre Frauen ermorden), Mordaufklärung, Arbeitsmoral und Effizienz, Schweißnähte, Verzinkungen, der Zustand der Straßen… Alles „eine Scheiße“. Immer wieder bleibt er stehen (sonst geht er sehr langsam), holt tief Luft und ruft: „Es ist eine Scheiße!“ Zur Veranschaulichung zeigt er uns ein Grundstück. Laut Bautafel wird dort eine Forschungseinrichtung der EU errichtet, geplante Bauzeit: 2000-2006. Bisheriger Baufortschritt: Null. Wegen Klima und Landschaft bereut Vincenzo trotzdem nicht, zurückgekommen zu sein.