Teil 3 meines Reiseblogs aus China

Wenn dein Zug in eineinhalb Stunden fährt, du aber zwei Stunden vom Bahnhof entfernt bist, ergibt das: die Geschichte einer abenteuerlichen Taxifahrt.

Ich mache mich also am Hostel in Xi’an fertig für den Weg zum Bahnhof. Ich verabschiede mich von den unglaublich netten Leuten an der Rezeption und frage nochmal zur Sicherheit, ob Xi’annan wirklich Xi’an West bedeutet. Nein, erfahre ich: Das sei Xi’an Süd. Und das macht einen Unterschied. Der Westbahnhof liegt am Rand der Altstadt; vom Hostel aus ein längerer Spaziergang oder ein paar Stationen mit dem Bus. Der Südbahnhof dagegen liegt weit außerhalb der Stadt. Zwei Stunden mit dem Bus. Mein Zug fährt in eineinhalb Stunden.

Der Hostelmanager nimmt ein Blatt Papier und entwirft einen Notfallplan. Ich solle zur U-Bahn gehen und zu jener Station fahren; er malt mir den Namen der Haltestelle auf. Dort müsse ich ein Taxi nehmen. Er malt den Namen des Bahnhofs, das solle ich dem Fahrer zeigen. Wenn ich sofort los ginge, könne ich es mit Glück schaffen.

Ich renne zur U-Bahn. Am Fahrkartenautomat muss ich ein Ticket zur gewünschten Zielhaltestelle lösen. Leider kann ich keine Ähnlichkeiten zwischen dem Gekrakel auf meinem Zettel und den Zeichen auf dem Bildschirm erkennen. Hektisch winke ich einen Chinesen heran. Ich scheine so verzweifelt zu wirken, er kommt sofort im Laufschritt. Ich zeige ihm den Zettel. Er drückt die passende Taste. Ich schiebe einen 1¥-Schein nach dem nächsten in den Schlitz, alle kommen zurück. Ich nehme einen Zehner. Das klappt: Der Automat spuckt eine Handvoll Münzen und meine Fahrkarte aus. Ich renne die Treppen runter und springe gerade noch in die U-Bahn, bevor hinter mir die Türen zu gehen.

Nervös stehe ich mit zwei hastig gepackten Rucksäcken in der Bahn. Mir wird besonders schmerzlich bewusst, wie weit die Haltestellen in China auseinander liegen. Ich nehme mir fest vor, ganz cool aus dem U-Bahnhof zu treten. Es wäre sicher ungünstig für den Fahrpreis, wenn die Taxifahrer bemerken, wie eilig ich es habe.

Mein Vorsatz scheitert. Wild mit meinem Zettel wedelnd stehe ich am Taxistand. Die zwei gemütlich rauchenden Fahrer scheinen keinen Bock auf den Auftrag zu haben, diskutieren erstmal aus, wer ihn übernehmen muss. Der Bahnhof muss wirklich am Ende der Welt liegen.

Der Verlierer der Debatte, ein kompakter Kerl im blau-weiß gestreiften Poloshirt, brüllt mich an, hält mir seine Hand mit nach oben gestrecktem Zeige- und Ringfinger entgegen. Zwei Theorien habe ich spontan, was das heißen könnte: 200 Yuan, etwa 30 Euro. Oder den doppelten Fahrpneh vermutet, von dort draußen leer zurück zu fahren. Beides wäre für mich okay, ich nicke. Er brüllt weiter. Ich zeige ihm einen Hunderter. Er brüllt etwas leiser und fährt endlich los.

Noch 52 Minuten bis zur Abfahrt des Zuges.

Nach ein paar hundert Metern zeige ich auf das ausgeschaltete Taxometer. Basiswissen aus dem Lonely Planet: immer auf ein laufendes Taxometer bestehen. Er fängt wieder an zu brüllen, zeigt die Zwei. Okay, denke ich, dann stimmt wohl die 200 Yuan-Theorie. Eine Fahrt zum frei ausgehandelten Pauschalpreis. Lonely Planet am Arsch.

Fußgängern, Mofas und was sonst so auf der Straße ist umkurvend, heizen wir durch die Nacht. Nach zwei Kilometern macht der nun schweigende Fahrer das Licht an. Vor uns tauchen zwei Busse auf, der hintere versucht zu überholen, zieht immer wieder auf die Gegenspur und schert kurz vor dem Crash wieder ein. Wir versuchen, die beiden Busse zu überholen.

Draußen wird sie Straßenbeleuchtung weniger, hört dann ganz auf. In den Werkstätten am Straßenrand sprühen die Funken der Schweißgeräte. Der eine Bus biegt ab. Kurz darauf überholen wir unfallfrei den zweiten. Die warme Nachtluft rauscht durch vier offene Fenster ins Auto.

Ich schreibe den China-Kennern in meinem Adressbuch, was denn ein üblicher Preis für eine halbstündige Taxifahrt sei. Inzwischen haben wir die Stadt verlassen, ballern über eine stockdunkle Landstraße, links und rechts Bäume, vielleicht Birken. Ich überlege kurz, meine Frage um meinen aktuellen Standort zu ergänzen, um sowas wie „Wenn ich mich in einer Stunde nicht melde, ruf bitte die Polizei an.“ Ich entscheide mich dagegen.

Durchs Fenster kommt jetzt rauchige Luft, draußen liegt ein gelblicher Dunst auf der Nachtluft. Wir fahren offenbar durch’s Industriegebiet. Noch 34 Minuten bis Abfahrt des Zuges. Könnte klappen. In Deutschland könnte man jetzt noch auf eine Verspätung des Zuges hoffen. In China aber, so steht es im Lonely Planet, führen die Züge fast immer pünktlich.

Mein Fahrer hat die interessante Angewohnheit, sich vor vollig uneinsehbaren Linkskurven vorsichtshalber immer am linken Straßenrand zu halten. Nach ein, zwei dieser Kamikazemanöver sind wir plötzlich wieder in einer Siedlung, biegen dort noch dreimal ab, dann bleibt das Taxi vor dem Bahnhof stehen. Ich gehe inzwischen fest von 200 Yuan aus, probiere es aber erstmal mit einem Hunderter. Zu meiner Überraschung nimmt er den und zählt sogar noch Wechselgeld ab. 71 Yuan nimmt er für die Fahrt, was mir erstens seltsam krumm erscheint fur einen willkürlich festgesetzten Preis. Was zweitens aber auch weniger als zehn Euro sind.

Noch 26 Minuten bis zur Abfahrt. Das ist nicht gerade großzügig; ich muss noch durch die Passkontrolle, die Gepäckkontrolle und den Check-in am Bahnsteig; aber es sollte reichen.

Am Eingang zum Bahnhof herrscht ein Riesengedränge. Ich schiebe mich nach vorne, stelle mich in die Schlange, was in China aber immer eher eine Traube ist. Dort treffe ich auf eine Italienerin. Sie sagt mir, unser Zug hätte vierzig Minuten Verspätung. Lonely Planet am Arsch.

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