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America has only three cities: New York, San Francisco, and New Orleans. Everywhere else is Cleveland.

Tennessee Williams

New York und San Francisco waren von Anfang an Eckpfeiler unserer Reiseplanung. Die dritte amerikanische Stadt nach Williams ist erst relativ kurzfristig auf der Agenda gelandet. Die richtige Entscheidung! Wenn Nashville Music City ist, dann ist New Orleans definitiv Music Capital. Was wir hier in ein paar Tagen an großartigen Konzerten erlebt haben!
Drei Höhepunkte:

  • The Revivalists rocken an einem Mittwoch Abend ein Stadtteilfest, in das wir zufällig stolpern.
  • Die Street Legends Brass Band steht samstags im Maison gleich zu siebt auf der Bühne. In der ersten Reihe stehen zwei Bläser und ein Sänger, der aussieht wie Mike Tyson. Die Drei geben Vollgas und grinsen sich dabei einen ab. Livemusik macht Spaß, wenn man sieht dass die Band Spaß hat.
  • Beeindruckend ist auch der Auftritt von Tank And The Bangas. Tank ist eine füllige schwarze Sängerin. Im bunten Rock steht sie auf der Bühne und fängt ganz leise an eine Geschichte zu erzählen, es geht um die Liebe als Achterbahnfahrt. Langsam steigen zwei Background-Sängerinnen und ein Querflötist mit ein. Während Tank vom Erzählen zu Gesang übergeht, steigt nach und nach die ganze Band mit Saxophon, Trompete, Keyboard, Gitarre, Bass und Schlagzeug mit ein.

Dazu kommen unzählige andere Bands und Straßenmusiker, die irgendwo sitzen oder mit ihren Instrumenten fröhlich lärmend durch die Straßen ziehen, immer mit ein paar Zuhörern im Gefolge.

New Orleans ist nicht nur Halligalli. Vor zehn Jahren wütete hier Hurrikan Katrina. Die Stadt musste komplett evakuiert werden. Bis heute sind viele der damaligen Einwohner nicht zurückgekehrt. Arme konnten sich den Wiederaufbau ihrer Häuser einfach nicht leisten. Wo vor der Flut Sozialsiedlungen standen, ließ die Stadt anschließend gemischte Viertel bauen – mit deutlich weniger Wohnraum. Natürlich betraf das vor allem die schwarze Bevölkerung.

Häuser in Algiers Point

Häuser in Algiers Point

Die Weißen leben in eigenen Vierteln. Algiers Point etwa liegt auf der anderen Seite des Mississippi. An einem sonnigen Nachmittag setzen wir mit der Fähre über. Die Leute grüßen genauso freundlich wie in unserem (schwarzen) Viertel. Die Häuser sind hier allerdings in viel besserem Zustand, in den Vorgärten blüht der Frühling prachtvoller. Die Pick-ups glänzen frisch gewaschen. Eine Idylle. Erst als wir wieder über den Fluss sind, lese ich in der Wikipedia die Katrina-Geschichte von Algiers Point: Damals bildeten die Bewohner eine Bürgerwehr und erschossen Schwarze, die sich aus den überschwemmten Gebieten hierher flüchteten. [Quelle: The Nation]

Louis-Armstrong-Park, (c) M.E.

Louis-Armstrong-Park, (c) M.E.

Auch wenn es Zuschüsse von Staats- und Bundesregierung gab, war der Wiederaufbau für die Stadt ein immenser Kraftakt. Heute ist in den meisten Gegenden vom Hurrikan nichts mehr zu sehen. Für Schulen und öffentlichen Nahverkehr sei seither aber viel zu wenig Geld da, erzählt mir der Journalist Alex Woodward beim Kaffee. Letzteres beobachten wir selbst: Die Straßenbahnen sind keine zehn Meter lang und so langsam, man könnte nebenher laufen. Wir halten sie zuerst für eine Touri-Attraktion. Bis wir am Morgen feststellen, dass viele New Orleanser damit wirklich zur Arbeit fahren. Die Busse fahren oft nur einmal die Stunde und nie dann, wenn es im Fahrplan steht.

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Alex schreibt zur Zeit viel über die Wohnungsnot in New Orleans. Wohnraum ist seit dem Hurrikan knapp; in den letzten Jahren sind außerdem viele neue Leute hergezogen. Eine weitere Ursache für Alex: das Vermieten von Wohnraum an Touristen via Airbnb. Wir fühlen uns etwas schuldig, sind doch auch wir auf diese Art bei Meiloni untergekommen. Das ist komfortabler und günstiger als ein Hostel. Vor allem aber unterhalten wir uns einfach gern mit den Locals und sehen, wie sie leben. Sonst wüssten wir jetzt nicht, was ein Shotgun-Haus ist: Traditionell wohnt man hier in langen, schmalen Häusern, in denen alle Zimmer ohne Flur hintereinander liegen. In Windrichtung ausgerichtet, konnte man so alle Räume trotz subtropischer Hitze halbwegs kühl halten. Auch Meilonis Haus ist so angelegt (dank Klimaanlage kann man aber die Türen zumachen).

"Karma" von Do-Ho Suh

„Karma“ von Do-Ho Suh

Eine andere Möglichkeit der Hitzeflucht sind die vielen Parks der Stadt. Im City Park hat das New Orleans Museum of Art einen herrlichen Skulpturengarten angelegt. Und als wir gerade beim Picknick im Louis-Armstrong-Park sitzen, kommt auf der anderen Seite des Bachs ein junges Paar vorbei: Sie mit Babybauch, er mit Krücken. Plötzlich landen die Krücken auf dem Boden und der Kerl vor ihr auf den Knien. Und zieht eine Schachtel mit zwei Ringen aus der Tasche.

Nachtrag: Eine lesenswerte Ergänzung mit Fokus auf die sozialen Folgen von Katrina ist dieser Beitrag von Eva Schulz (via Simon).

  • Alle Beiträge unserer Nordamerika-Reise sind unter #noam15 gesammelt.