Words And Numbers

Für echte Bildungsgerechtigkeit

Seit 2005 wurden in sieben Bundesländern Studiengebühren eingeführt, inzwischen sind sie fast überall wieder abgeschafft. Nur in Bayern und Niedersachsen werden die Beiträge noch erhoben. In Niedersachsen stehen im Januar Wahlen an, ein Regierungswechsel mit anschließender Abschaffung der Gebühren ist wahrscheinlich. In Bayern steht nächstes Jahr ein Volksbegehren zum Thema ins Haus. Grund für die regierende CSU, alle bisherigen Überzeugungen über den Haufen zu werfen und dem Volk mit der Abschaffung zuvor zu kommen. Damit sind außer der verzwergten FDP alle bayerischen Parteien gegen Studiengebühren, außerdem der Gewerkschaftsbund und natürlich die Studentenvertretungen. Also quasi alle. Aber muss es deswegen richtig sein?

Fakt ist: Die Studiengebühren haben die Situation an den Hochschulen deutlich verbessert, auch wenn sie zum Teil unsinnig oder gar nicht ausgegeben werden. Es wurden zahlreiche Tutorenstellen geschaffen, um Studenten in Kleingruppen zu betreuen. Zusätzliche Kurse zur Prüfungsvorbereitung wurden ermöglicht, auch die Sachausstattung hat sich verbessert. „Ohne die Gebühren würde es hier anders aussehen“, hat mir erst kürzlich wieder ein Dozent bestätigt. Eine Abschaffung, da sind sich alle einig, macht nur Sinn mit Finanzausgleich aus dem Staatshaushalt.

Das häufigste Argument gegen Studienbeiträge ist Bildungsgerechtigkeit. Hier herrschen in Deutschland katastrophale Zustände, die das Deutsche Studentenwerk regelmäßig in einer Sozialerhebung festhält. Nur 17 Prozent der Arbeiterkinder nehmen ein Studium auf, beim Nachwuchs von Selbstständigen und Beamten sind es je über 60 Prozent. Die working class stellt  vierzig Prozent der Bevölkerung, aber nur 20 Prozent der Studienanfänger. Über ein Viertel der Bevölkerung hat keine Berufsausbildung – aus dieser Gruppe stammen nur zwei Prozent der Studenten. Über die Hälfte der Studenten hat einen Vater, der ebenfalls schon studiert hat. Wer greifbare Eindrücke lieber mag als nackte Zahlen (oder sich einfach für teure Autos begeistert), dem empfehle ich einen Spaziergang über den Parkplatz einer Universität. Höhere Bildung ist in Deutschland nach wie vor hauptsächlich eine Veranstaltung der Mittel- und Oberschicht. Unser Bildungssystem sorgt dafür, dass die viel zitierte Schere zwischen Arm und Reich weit geöffnet bleibt.

Chinesisch im Kindergarten

Aber: Das liegt nicht an den Studiengebühren. Die Selektion findet viel früher statt. Von 100 Kindern mit Akademiker-Eltern erreichen 71 Abitur – Bei Kindern mit nicht-akademischem Background schaffen das gerade mal 24.  In einem Kindergarten in Berlin-Neukölln oder Augsburg-Oberhausen muss in der Regel erstmal die deutsche Sprache vermittelt werden. Die Villa Ritz, ein Kindergarten in Potsdam, schreibt auf ihrer Homepage: „Deutsch und Englisch sind Verkehrssprachen. Chinesisch ergänzt das Fremdsprachenangebot.“ Die Schere klafft schon vor der Einschulung weit auseinander.

Die Förderung sozial schwacher Kinder ist nicht nur aus Gründen der Chancengleichheit wichtig. Deutschland kann es sich wirtschaftlich auch einfach nicht leisten, dieses Potential weiter zu verschwenden. Aber dann muss man früh damit anfangen. Mit mehr Lehrern, besseren Schulen, Ganztagsangeboten. Im Prinzip müsste man direkt bei der Ghettoisierung von Arm und Reich ansetzen. Das alles kostet Geld. Geld, dass man lieber für Geschenke ans Bildungsbürgertum einsetzt. So wie in Baden-Württemberg: Dort hat die grün-rote Landesregierung die Studiengebühren abgeschafft – und 11.600 Lehrerstellen gestrichen. Das ist absurd.

Geschenk für Wohlhabende

Man kann über eine Senkung der Studiengebühren nachdenken. Man kann die Befreiungsmöglichkeiten für sozial schwache ausbauen. Man kann Modelle diskutieren, bei denen die Gebühren erst ein paar Jahre nach der Ausbildung fällig werden, ähnlich dem BAFÖG. Die Studenten sollten stärker an der Entscheidung über die Verwendung der Mittel beteiligt werden. Vielleicht kann man Studiengebühren auch irgendwann abschaffen. Das wäre schön. Aber zur Zeit wird das Geld anderswo dringend gebraucht. Solange es Migranten und Arbeiterkinder in Deutschland nur in Ausnahmefällen zum Abitur schaffen, ist ein kostenloses Studium ein Geschenk für Wohlhabende. Oder mit den Worten von Karl Marx: „Wenn in einigen Staaten höhere Unterrichtsanstalten unentgeltlich sind, so heißt das faktisch nur, den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel zu bestreiten.“ Der Bildungsjournalist Christian Füller schreibt in der taz: „Asta-Fritzen kämpfen im Che-Guevara-T-Shirt für ein vermeintlich kostenloses Studium. In Wahrheit aber sind sie die Vorhut reicher Ärzte-, Anwälte- und Redakteurskinder, die Papis Kohle weiter in Skiurlaube stecken wollen.“

Freie Bildung für alle ist ein schöner und richtiger Slogan. Von den vielen Hürden auf dem Weg vom Arbeiterkind zum Prof. Dr. sind Studiengebühren allerdings die niedrigste. Dieser Text ist er ist ein Plädoyer gegen Populismus und für echte Bildungsgerechtigkeit.

Update: Hier in den Kommentaren und auf Facebook wurde einige Kritik geäußert, auf die ich in einem eigenen Beitrag eingehe.